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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt
Autoren: Stefan Wolf
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Na also! Die Hand mit dem Blindenstock deutete in das Abteil.
Gab die Frau ihre Rolle auf? Was war der Grund für den Schreck?
    „Was ist los?“
    „Da!“ Ihre Stimme zitterte. „Ein...
ein... Ich glaube, er ist tot. Erschlagen.“
    Tim war jetzt bei ihr, erfaßte die
Situation und schob die Abteiltür auf.
    Der Glatzköpfige rührte sich nicht. Er
trug einen Trachtenanzug aus dunklem Hirschleder. Auf dem Nebensitz lag ein
Hut.
    Tim faßte nach dem Handgelenk. Der Puls
war schwach, aber regelmäßig.
    „Er lebt.“
    Vorsichtig zog Tim den Bewußtlosen aus
der Ecke und legte ihn auf die Bank, deren Armlehnen er hochdrückte.
Fachgerecht legte er ihn hin, wie gelernt im Kurs für Erste Hilfe.
    „O Gott!“ rief die Frau. „Das ist ja
der Herr Mair-Chateaufort. Aber warum... Die Polizei! Lebt er wirklich?“
    „Vielleicht hat er eine
Gehirnerschütterung. Aber er lebt wirklich. Für eine Blinde, verehrte Dame,
sehen Sie offenbar recht gut.“
    „Ich bin nicht blind. Ich bin
Reporterin und will erkunden, wie eine Blinde in ihrer Umwelt klarkommt. Dieser
Herr ist... mein Nachbar. Ich meine, nicht direkt. Aber er wohnt sehr in der
Nähe. Marcel Mair-Chateaufort. Den Täter habe ich gesehen. Er dachte wohl, ich
sei tatsächlich blind, und hat mir nichts getan. Er ist weggerannt.“
    Tim tastete die hirschlederne Jacke ab.
    „Keine Brieftasche, keine Armbanduhr,
kein Ring. Aber der Trachtenanzug hat mindestens 5000 Mark gekostet. Also ein
Raubüberfall. Ist der Mann vermögend?“
    Die Reporterin nickte.
    „Sehr. Und ich weiß, daß er immer zwei
Ringe trägt und eine goldene Armbanduhr. Der Siegelring hat die Initialen SH.“
    „Wieso nicht MMC?“
    „Den Ring hat er seinem Freund beim
Kartenspielen abgeknöpft, einem Dr. Sigismund Holman.“
    Na, wunderbar, dachte Tim. Jetzt sind
wir also mitten drin. Und der alte Grobian hat noch einen Freund. Vielleicht
sein einziger, und der kommt jetzt ins Krankenhaus. Hebt das beim Oheim die
Stimmung? Sicher nicht. Klößchen und seine Freunde treffen im falschen Moment
ein.
    „Er muß in ärztliche Obhut“, sagte Tim,
„bevor der Zug abfährt. Warten Sie hier!“
    Er hechtete in den Vorraum und von dort
auf den Bahnsteig, wo er gegen den Zugführer prallte.
    Der ließ sein dickes Dienstbuch fallen
und wollte gerade mit dem Schimpfen anfangen. Aber Tim schnitt ihm das Wort ab.

     
    *
     
    Die übrigen Reisenden, die weiterfahren
wollten, mußten sich mit fünf Minuten Verspätung abfinden. Das würde der
Express wieder aufholen, bevor er die jugoslawische Grenze erreichte.
    In der kleinen Bahnstation von Bad
Fäßliftl herrschte helle Aufregung.
    Der Vorsteher schwitzte. Die fünf — ihm
unterstellten — Beamten waren kaum noch fähig, sich auf ihre Arbeit zu
konzentrieren.
    Der Notarztwagen hatte den alten Marcel
abgeholt. Er mochte in Holmanns Alter sein, hatte ein gutmütiges — jetzt sehr
schlaffes — Gesicht und das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt.
    Susi Welmhoff und die TKKG-Bande
warteten im Dienstraum des Vorstehers. Zumindest Susi und Tim mußten ihre
Aussage machen. Aber der Inspektor Wondrascheck von der örtlichen Polizei
brauchte etwas länger als der Notarzt, um sich herzubemühen.
    Gaby und Susi unterhielten sich. Die
Jungs übten sich in Geduld.
    „Ohne euch“, meinte Klößchen, „trete
ich dem Oheim nicht unter die Augen. Die Verzögerung hier haben wir nicht
verschuldet. Wegen Verspätung kann er mir also keinen Minuspunkt ankreiden.
Vielleicht hat Sigi so was vor: ein Punktesystem. Bei zehn Miesen bin ich raus
aus dem Testament. Aber dann erzähle ich ihm zum Schluß, was ich von Verwandten
halte, die sich ein halbes Jahrhundert nicht blicken lassen. Eigentlich ist
doch dieser Kerl ein wildfremder Mensch für mich. Muß mir noch sehr überlegen,
ob ich von dem etwas annehme.“
    Gaby wandte sich an die Jungs.
    „Susi bietet uns das Du an. Sie weiß
nun, wer wir sind und was wir hier wollen.“
    „Du mit Schmatz?“ fragte Klößchen. „Oder
mit Händedruck?“
    Die Reporterin lachte und gab ihm die
Hand.
    „In gewisser Weise sind wir alle
Nachbarn — im Mittelriß-Tal nämlich. Es ist groß, eigentlich kein richtiges
Tal, hat nur sanfte Berge ringsrum, aber Wiesen, Wald, zwei Seen, ein Moor und
ein Flüßchen, in dem sich Forellen tummeln. Früher gab es vier Bauernhöfe im
Tal. Die Bauern mochten nicht mehr und verkauften die Gehöfte. Alle wurden
umgebaut zu schmucken Landhäusern. Das größte und schönste gehört
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