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Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi

Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi

Titel: Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Autoren: Peter Freudenberger
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ob als Schulleiter oder Anlagenvorsitzender. Strunke jedenfalls war rigoros. Die Paragrafen des Deutschen Kleingartengesetzes und der städtischen Kleingartenverordnung genügten ihm nicht. Stets erfand er neue Regeln dazu, von denen außer ihm selbst niemand etwas wusste. Bis er auftauchte und Scherereien machte. Mal wuchsen die Stauden zu hoch, dann wieder zu niedrig. Mal waren die Beete zu breit, die Wege zu schmal, die Griffe am Gartentürchen zu kurz oder die Gardinen hinter dem Laubenfenster zu lang. Hier gab es zu viele Blumen von nur einer Farbe, dort quietschte verbotswidrig eine Schubkarre, obwohl kein Gesetz der Welt, auch nicht der Kleingartenwelt, die Blütenfarben vorschrieb oder quietschende Schubkarren verbot. Quietschende Schaukeln schon, jedenfalls in der Mittagsruhe zwischen zwölf und drei.
    Elf Laubenkolonien gab es im Stadtgebiet. Aber keine war so streng, unerbittlich und diktatorisch geführt wie diese. Hinter vorgehaltener Hand bezeichneten manche Pächter das Radieschenparadies als »Colonia Dignidad« von Aschaffenburg. Niemand war sicher vor Strunke, dem uneingeschränkten Herrscher. Nur die Vogelscheuche, die vielleicht nicht gegen Kleingartenparagrafen, aber gegen Gottes Gesetz verstieß.
    Sicher lag es daran, dass sich Strunke selbst als Herrgott verstand. Vor ein paar Tagen hatte er sogar seine eigenen zehn Gebote an die schwarzen Bretter in der Kolonie angeschlagen. »Die zehn Gebote (und Verbote) des Kleingärtners«. Blasphemie! Eine Zumutung für jeden naturliebenden und gottesfürchtigen Gartenfreund. Wenn sich Strunke wenigstens selbst danach richten würde. Da stand es nämlich schwarz auf weiß, Gebot Nummer neun: »Du sollst die Bienen und Vögel achten!« Bienen – und Vögel. Die Vogelscheuche verstieß also gegen Strunkes Gebote, ohne dass er etwas dagegen unternahm, obwohl sie ihn schon zweimal darum gebeten hatte.
    Natürlich hatte sie auch die Eigentümer des betreffenden Kleingartens angesprochen. Die Froeses. Sie hatten ihr freundlich zugehört, gelächelt und genickt. Und hinterher? Sie banden der Vogelscheuche eine japanische Geisha-Maske um. Damit sei sie ein Element des asiatischen Gartens, den das Paar entwickeln wollte.
    Seit ein paar Jahren sprossen die Konzeptgärten wie Unkraut aus dem Boden. Der mediterrane Garten, in dem das meiste in Kübeln wucherte. Der romantische Garten mit seinem Überfluss an Rosen, bevorzugt blaue. Der formale Garten, bei dem es wohl vor allem auf kunstvoll geschnittene Hecken ankam. Der moderne Garten, in dem sich sogar die Pflanzen der Geometrie von Kreis, Dreieck und Quadrat unterwerfen mussten. Der naturnahe Garten – die Standardausrede für alle, die zu faul waren, ihre Parzelle zu pflegen.
    Gerti Blum verstand genug von Biologie und Gärtnerei, um anzuerkennen: Der Garten der Froeses entsprach dem asiatischen Konzept. Zwei Eiben, ein Ahorn, über Jahrzehnte in Form geschnitten. Kies aus der Natur, dazwischen Inseln von Buchs-Azaleen und einige Enkianthus campanulatus – japanische Prachtglocken. Im Nutzgarten sprossen Mizuna und Blattsenf, die bereits im Frühjahr gediehen. Ebenso Perilla mit ihren rostroten Shisoblättern und Shungika. Etwas später folgten Cilantro und Thaibasilikum, dann Chinakohl und Pak-Choi. In besonders warmen und sonnigen Jahren gesellte sich sogar noch Zitronengras dazu.
    Dabei verzichtete das Ehepaar Froese auf den kitschigen Klimbim, der sich in den zwei, drei anderen asiatischen Gärten fand – und in manchen Parzellen, die völlig ohne Konzept gestaltet waren: dicke Buddha-Skulpturen; vierarmige Göttinnen, die auf einem Bein tanzten; chinesische Drachen aus Ytong.
    Dafür hing hier die scheußliche Vogelscheuche, die den harmonischen Gesamteindruck zerstörte. Die Geisha-Maske verbesserte nichts, sie entlarvte vielmehr das Elend und die Hässlichkeit der Puppe.
    Gerti Blum nahm sich vor, Strunke noch einmal darauf anzusprechen. Auch wenn es ihr schwerfiel. Lange hatte sie kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Seit er Ende des Jahres an ihr herumgemäkelt hatte. Er trug immer ein Vokabelheft bei sich, wie es auch die Schüler benutzen. Nur dass Strunke darin die vermeintlichen Sünden seiner Gartengemeinde eintrug. Nach einem unfreundlichen Gruß hatte er das Heftchen aus der Gesäßtasche gezogen und losgelegt: Sie habe es im zurückliegenden Jahr an Gemeinsinn fehlen lassen. Sich an den Putzaktionen im Frühjahr überhaupt nicht und im Herbst nur – Moment – siebenundachtzig Minuten lang
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