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Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi

Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi

Titel: Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Autoren: Peter Freudenberger
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er sich nur mit einer Hand ab, als er über das Türchen flankt. Eilig schreitet er am Rande des Wegs von ihr weg – wieder hinterlässt sein Tritt kein Knirschen – und verschwindet im Dunkel.
    Sie kann ihm nicht nachrufen. Es ist vorbei. Ihr entstellter Körper verrät keine Enttäuschung, keine Trauer, keinen Schmerz. Spiegelt sich nicht sogar Erleichterung in den schönen Zügen ihres Gesichts? Der Schatten – er hat keine Erlösung gebracht. Was immer er vorhat, es ist nichts Gutes. Niemand darf sich um diese Uhrzeit hier aufhalten. Nur lichtscheue Wesen missachten das Verbot. Oder der Tod. Sie ist dem Tod begegnet, doch er hat sie verschont. Es ist jemand anderes, nach dem er sucht.
    Eine Elster setzt sich auf ihre Schulter, plustert sich auf und schlägt dann ruckartig den Schnabel in die weiße Brust unter dem roten Halstuch. Geschickt pickt sie einen Käfer aus dem Stroh unter dem zerschlissenen Leinen und schwingt sich davon. Ihr Keckern klingt wie hämisches Gelächter. Ein neuer Riss klafft in der Stoffhaut, ein paar braune Halme hängen heraus. Ihre Peiniger sind zurück, die Maske, die man ihr neuerdings umgebunden hat, hilft nichts. Bald würden es auch ihre Besitzer wissen: Die alte Vogelscheuche ist nutzlos geworden.

1
    Das Scheusal!
    Gerti Blum wandte den Blick von der Vogelscheuche ab, tat so, als ob sie die Gärten auf der anderen Seite des Wegs betrachtete. Sie verabscheute dieses hässliche Monstrum. Verboten gehörte das.
    Grundsätzlich war es schon einmal nicht richtig, die Vögel von ihren Futterplätzen zu vertreiben. Erst recht nicht, um die Saat vor ihnen zu schützen oder die eigene Ernte zu mehren. Eitler Wahn, den Jesu Lehren als sinnloses Streben entlarven. Nachzulesen bei Matthäus 6,26. Auswendig wusste sie den Satz: »Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch.«
    Sie erschrak. Sie hatte die Worte laut gesprochen, fast gerufen. Wenn jemand sie gehört hatte, würde es gleich wieder die Runde machen, dass sie mit dem Alter immer wunderlicher wurde. Sie hielt einen Augenblick inne. Nichts. Kein Gelächter. Keine Schritte, die eilig herbeiliefen. Nur das rauschhafte Gezwitscher ihrer gefiederten Freunde, die mit dem Verkehrslärm auf der Großostheimer konkurrieren mussten. Der erreichte gerade seinen morgendlichen Höhepunkt. Es war kurz vor sieben, und wie immer schien sie um diese Uhrzeit allein im »Radieschenparadies« zu sein. Sie setzte ihren Weg fort.
    Weil der Mensch das Ebenbild des himmlischen Vaters ist, gehört es zu seinen Christenpflichten, die Vögel zu nähren. Jedenfalls ihnen das Futter nicht zu verwehren. Aber einige Kleingärtner bewiesen unbegrenzten Einfallsreichtum, um sie abzuschrecken. Sie flochten Aluminiumbänder in Hecken, Stauden und an kurze Stäbe. Neuerdings nahmen sie sogar CD -Rohlinge. Sie pfählten Raubvogelimitationen aus Ton in die Beete. Vor einem Jahr hatte ein Pächter eine tote Amsel im Kirschbaum aufgehängt; aber der war seinen Garten gleich losgeworden.
    Dafür hatte Josef Strunke gesorgt, der Vorsitzende der Kleingartenanlage. Auch bei den Alustreifen und den CD s stand er immer gleich auf der Matte. Nur die Vogelscheuche, die durfte bleiben.
    Verrat am guten Geschmack. Verrat an der Natur. Und Blasphemie! Gerti Blum ließ sich da nichts vormachen. Sie war Oberstudienrätin. Lehrerin für Biologie und Religion. Die ideale Fächerkombination. Sie kannte die Schöpfung – und verstand sie. Sie wusste um Gottes Plan ebenso wie um die Evolution. Das war kein Widerspruch. Hinter jeglicher Fügung waltete die Hand des himmlischen Vaters.
    Sie stand kurz vor der Pension, und noch immer fiel es ihr schwer zu glauben, dass der Mensch vom Affen abstammte. Erst der neue Schulleiter hatte es ihr etwas leichter gemacht. Ein Evangelischer. Und ein Sozi. Mit dem konnte ja etwas nicht stimmen, sonst hätte er es in Bayern nie so weit gebracht. Gut, leichte Zweifel an ihrem Schöpfungsideal keimten schon in ihr auf, als Strunke die Kleingartenanlage übernommen hatte. Auch dieser Mann ließ sich kaum mit dem Ebenbild des himmlischen Vaters vereinbaren, die Wurzeln seines Stammbaums lagen eher im Bereich des Affen, wobei in seinem Fall die Evolution zu einem frühen Stadium unterbrochen worden sein musste.
    Strunke schien nur dazu geboren, seine Mitmenschen zu piesacken. Wehe, so einer erreicht eine Position, in der er Macht ausüben kann –
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