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Stigma

Stigma

Titel: Stigma
Autoren: Michael Hübner
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Denn trotz all der Schmerzen, der Qualen und der Hoffnungslosigkeit, die er selbst in jenem Keller empfunden hatte, war ihm nicht ein einziges Mal der Gedanke an Selbstmord gekommen. Gleichwohl kannte er das Gefühl der Resignation, des völligen Aufgebens. Und von dort war es nur noch ein winziger Schritt über den Rand des dunklen Abgrundes hinaus. Nein, er machte seinem Vater keine Vorwürfe, dazu hatte er kein Recht. Trotz seines eisernen Willens hätte diese Geschichte auch ganz anders für Tom ausgehen können. Er hatte einfach Glück gehabt. Und einen guten Freund.
    Was seine Freunde von damals betraf, so hatte er oft erwogen, wieder Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Schließlich stellte er Nachforschungen an und fand heraus, dass Ingo der Einzige war, der noch immer in Wiesbaden lebte. Er hatte eine Lehre als Metzger gemacht und arbeitete in der Firma seines Vaters. Ralf studierte in Frankfurt Jura, und Chris war nach der Scheidung seiner Eltern mit seiner Mutter nach Italien zurückgegangen, ein Land, das seinem leidenschaftlichen Charakter offensichtlich eher entsprach. Was Babs anging, so hatte sie früh geheiratet und war bereits Mutter einer kleinen Tochter. Sie wohnte mit ihrem Mann, einem Architekten, am Stadtrand von Köln. Nachdem Tom ihre Adresse ausfindig gemacht hatte, war er mehrfach der Versuchung erlegen, sie anzurufen. Doch jedes Mal verließ ihn der Mut, wenn ihre Stimme durch den Hörer klang, und er legte auf, ohne ein Wort zu sagen. Irgendwie kam es ihm falsch vor. Unwirklich. Schließlich gab er es ganz auf. Der Zug der Vergangenheit war endgültig abgefahren. Und soweit es die Freunde von damals betraf, war eine Umleitung in die Gegenwart nicht mehr möglich. Irgendwann beschloss er, dass es gut so war.
    Immer wieder verspürte Tom im Verlauf seines Lebens das Bedürfnis, sich Geschichten auszudenken. Aus einem belanglosen Gedanken keimte eine Idee, und diese Idee zog wie magnetisch andere Ideen an, die sich zu einer Art Vision formierten, die ungeduldig darauf wartete, erzählt zu werden. Doch Tom unterdrückte den Drang seiner Fantasie, sich zu entfalten, ließ ihr keinen Spielraum. Er hatte Angst davor, sich erneut in der Fiktion zu verlieren. Sein Talent, Geschichten zu erfinden, verkümmerte; es hatte in seinen Augen ohnehin nur die Funktion gehabt, ihn aus seiner Dunkelheit zu befreien. Also ließ er nicht zu, dass seine Fantasie wieder die Oberhand über ihn gewann, was zur Folge hatte, dass er geradezu versessen auf die Realität war und sie ständig hinterfragte. Und als sich sein Leben sowohl beruflich wie auch privat immer weiter zum Besseren entwickelte, begann er gelegentlich damit, sein Glück infrage zu stellen. Alles lief zu gut, war zu perfekt. Es konnte einfach nicht real sein.
    Etwa zu diesem Zeitpunkt fing er an, sich selbst kleinere Verletzungen zuzufügen. Winzige Schnitte an den Unterarmen, gerade so tief, dass es blutete. Quasi als Bestätigung, dass er nicht träumte, dass dies nicht wieder eine Welt war, die irgendwann in sich zusammenbrach. Doch das konnte auch die Realität nicht versprechen, wie er sehr wohl wusste. Daher betrachtete er diese selbst verursachten Verletzungen eher als einen »Tick« und achtete darauf, dass es nicht ausuferte. Erst nach einigen Jahren verschwand dieser Drang. Und auch seine Angst vor Rückschlägen ließ nach. Vermutlich brauchte er genauso viel Zeit, um völlig in der Realität anzukommen, wie nötig gewesen war, um den Zug der Vergangenheit zum Entgleisen zu bringen. Auch wenn es ihm nie völlig gelang, sich davon loszureißen.
    Als sein Großvater eines Tages mit ihm über einer Schachpartie brütete, fragte er Tom zum ersten Mal, ob er irgendetwas aus der »Zeit der Dunkelheit« vermisse, wie er die Jahre seines Komas nannte. Tom dachte kurz nach, obwohl er die Antwort längst kannte. Dann schaute er seinem Großvater einige Sekunden lang in die Augen und lächelte.
    »Ja«, sagte er, bevor er den Blick wieder senkte. »Einen Freund wie Fanta.«

Danksagung
    Wow! Mein erstes Buch. Am liebsten würde ich natürlich der ganzen Welt dafür danken. Da dies aber den Umfang jeder Danksagung sprengen würde, versuche ich, mich auf die wichtigsten Personen zu beschränken. Ich hoffe, ich vergesse dabei niemanden!
    Zuerst möchte ich mich bei meinen Kindern und meiner Frau Doris bedanken, für ihren unerschütterlichen Glauben an mich, ihre Liebe und für ihr Verständnis in den unzähligen Stunden, in denen ich allein und
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