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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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lehnte sich gegen einen Baum. Alles war anders als sonst, und er sah hin, als hätte er es noch niemals gesehen. Tote Augen, graue Haut; er hatte schon Tote gesehen, doch das hier war anders, war viel fremder als alles bisher. Er sah zu, was die Kommissare machten, studierte ihre Bewegungen und forschte in ihren Gesichtern nach einem Gefühl. Kissel stand gebückt über ihm, Ina Henkel kniete neben ihm im Gras und suchte mit den Augen seinen Körper ab. Sie nahm ein Diktiergerät aus ihrer Tasche, dem sie erzählte, was sie sah: »Oberkörper ist bekleidet mit einer ärmellosen, grünen –«
    »Die ist doch nicht grün«, sagte Kissel.
    »Natürlich ist die grün. Olivgrüne Weste mit Kapuze. Eingerissen am rechten Schulterblatt. Unterkörper bekleidet mit Jeans. Großflächig eingenäßt. Schwarze Lederschuhe, keine Socken.« Sie sah Kissel an. »Was ist das für ’ne Brille? Sind das Plastikgläser?«
    »Sportbrille«, murmelte Kissel. Sein Mund war leicht verzogen wie nach einem bitteren Getränk. »Die hat einen langen Bügel hinter den Ohren, der rutscht nicht.«
    »Rutscht nicht«, wiederholte die Kommissarin. Sie sah auf ihr Diktiergerät, als wüßte sie nicht, ob es diese Worte jetzt aufgezeichnet hatte, dann strich sie ihr Haar zurück und hielt es im Nacken fest, als dürfe sich kein Härchen davon lösen, um auf die tote Haut zu fallen. »Stichwunden«, murmelte sie. »Wie es aussieht, übertötet.«
    Dorian schloß die Augen. Nicole hatte ihm dieses Wort einmal erklärt; »wenn du einen erschießen willst«, sagte sie, »reichen im allgemeinen ein, zwei Schüsse. Dann hast du ihn getötet. Wenn du aber zwanzig Schüsse auf ihn abfeuerst, immer und immer wieder, hast du ihn übertötet, so nennen die das. Läßt Rückschlüsse auf die Täterpsyche zu, denn dann bist du auch meistens nicht ganz richtig.«
    »Ausgeblutet.« Kissels bulliger Körper schien zu dampfen, unentwegt schlug er nach Mücken und Motten.
    »Aber nicht hier«, sagte die Henkel. Dorian verstand sie kaum, weil sie so leise sprach. Normalerweise verbreitete die Kommissarin Lärm, knallte Sachen hin, ließ Türen ins Schloß fallen und drehte hinterm Steuer dröhnende Rockmusik auf, nur ihre Stimme war leise und sanft. Sie war mit Nicole befreundet, die genauso war, und gemeinsam konnten sie einen Höllenkrach veranstalten, ohne es zu merken.
    Vorsichtig bewegte sie die Beine des Toten und murmelte: »Leichenstarre.« Vielleicht hatte Dorian ein Geräusch gemacht, als er das hörte, denn jetzt guckte sie ihn schräg von unten an, einen Moment nur, bevor sie an ihm vorbei in den Himmel sah. Auf dem Polizeifest hatte sie zweimal mit ihm getanzt, und ihre Bewegungen waren leicht gewesen, nicht so ungeduldig wie die von Nicole. Als sie ihn damals duzte, hatte er beschlossen, es genauso zu machen, denn es kam gut vor Kollegen, wenn man sich mit Kripoleuten duzte, zumal wenn sie älter waren. Er war zweiundzwanzig und sie würde wohl dreißig sein.
    »Leiche auf dem Friedhof«, murmelte Kissel, »das erinnert mich irgendwie an Gorky Park. «
    »Was für ’n Ding?« fragte Ina.
    » Gorky Park, der Film. Da waren es drei Leichen im Park. Ich hab den noch in Erinnerung wegen dieser Szene, wo er die abgeschnittenen Köpfe durch die Gegend trägt.«
    »Wer?«
    »Der Bulle in dem Film.« Kissel seufzte.
    »Der Bulle trägt die Köpfe rum?«
    Kissel nickte. »Macht er.«
    »Ich guck so was ja nicht.« Ina stand auf und machte einem weißgekleideten Kriminaltechniker Platz.
    Kissel fing an zu fluchen, als das Scheinwerferlicht plötzlich zu flackern begann wie ein Flämmchen im Wind; »fluchen Sie hier nicht«, rief der Techniker, »Sie versündigen sich.«
    Ein Vogel sang, konnte das sein? Zweige knackten, und wie Geister in der Nacht kamen die Totenträger aus dem Gebüsch, Männer mit ernsten Gesichtern. Sie stellten die Bahre ins Gras und blieben dahinter stehen, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, wie Wachpersonal.
    »Ja, dann macht mal.« Die Kommissarin streifte ihre Handschuhe ab und trat von der Leiche zurück. Ihre Augen waren dunkelblau und müde. »In die Rechtsmedizin.« Auf dem Bahnhofsrevier hatten sie einmal gehöhnt, daß die Henkel, diese arrogante Ziege, schon nach einem Packen Handschuhen greife, sobald sie von einem Leichenfundort nur erfuhr. Wie die rumläuft, hatte einer gerufen, wär die doch besser Fotomodell geworden, und die anderen prusteten ihren Kaffee fast über den Tisch, als er fortfuhr: Aber jetzt steht se vor
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