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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich
Autoren: Thomas Enger
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der Sportchef von Kultur nicht die blasseste Ahnung und umgekehrt genauso, was die Möglichkeit einer kreativen Zusammenarbeit von vornherein ausschließt.
    Die Redakteure haben geringe bis gar keine Voraussetzungen, sich gegenseitig wertvolle Informationen oder Vorschläge für neue Artikel zuzuspielen. Sie sind viel zu sehr von ihrem eigenen Kram eingenommen, von den Aufgabenstellungen der Ressorts, die sie verantworten. Aber dennoch halten die oberen Chefs an diesen Sitzungen fest und betonen ihre Wichtigkeit. Und trotzdem begibt Henning sich in den Sitzungsraum, in dem die rechteckige Tischfläche wie ein blank geputzter Spiegel blinkt. In der Mitte stehen ein Krug mit Wasser und ein Stapel Plastikbecher. Bestimmt ist das Wasser abgestanden.
    Der Stuhl, auf dem er Platz nimmt, ist nicht für lange Diskussionen geeignet. Er vermeidet den Blickkontakt mit den anderen, die sich um den Tisch versammeln. Gedankenlose Worthülsen kann er gerade gar nicht ertragen, außerdem hat er das Gefühl, dass sich alle fragen, was er hier verloren hat.
    Was macht der denn hier?
    Ist der Redakteur?
    Der soll doch durchgedreht sein?
    Kåre Hjeltland betritt als Letzter den Raum und schließt die Tür.
    »Okay, fangen wir an«, ruft er und setzt sich an die eine Kopfseite des Tischs. Er sieht sich um.
    »Erwarten wir noch jemanden?«
    Keine Antwort.
    »Okay, dann legen wir mit urix los. Knut. Was habt ihr heute?«
    Knut Hammerstad, Chef der Auslandsabteilung, räuspert sich und stellt seinen Kaffeebecher weg.
    »In Schweden ist bald Wahl. Wir bringen eine Übersicht über die Ministerpräsidenten-Kandidaten, wer sie sind und wofür sie stehen. In Indonesien hat ein Flugzeug eine Bruchlandung hingelegt. Verdacht auf Terroranschlag. Sie suchen noch nach der Blackbox. Es wurden vier Terrorverdächtige in London festgenommen, die offenbar das Parlament zur Hölle jagen wollten.«
    »Guter Titel!«, ruft Kåre. »Scheißt auf die Wahl in Schweden, und blast den Flugzeugabsturz nicht weiter auf. Das interessiert sowieso keine Sau, wenn kein Norweger an Bord war.«
    »Das überprüfen wir gerade.«
    »Move on! Alles auf den Terror! Beschafft alle Details über die Planung, Durchführung, wie viele Menschenleben auf dem Spiel standen und so weiter und so weiter.«
    »Wir sind dabei.«
    »Gut! Nächster?«
    Neben Knut Hammerstad sitzt Rikke Ringheim. Rikke ist die Chefin der Sex- und Tratschabteilung, der wichtigsten Redaktion des Hauses.
    »Rikke, was habt ihr heute zu bieten?«, fragt Kåre sie.
    »Ein Interview mit Carrie Olson.«
    Rikke lächelt stolz und zufrieden. Henning sieht sie an und fragt sich, ob das Fragezeichen, das sich über sein ganzes Gesicht ausbreitet, für alle zu erkennen ist.
    »Wer zum Teufel ist Carrie Olson?«
    »Sie hat das Buch So haben Sie zehn Orgasmen am Tag geschrieben. Absoluter Bestseller in den USA und auf Platz eins in Deutschland und Frankreich. Sie ist momentan in Norwegen.«
    Kåre klatscht in die Hände. Es schallt durch den Raum.
    »Souverän!«
    Rikke lächelt zufrieden.
    »Und sie hat norwegische Vorfahren.«
    »Noch besser! Sonst noch was?«
    »Wir haben eine Untersuchung laufen. Wie oft haben wir Sex? Die fährt jetzt schon jede Menge Klicks ein.«
    »Sehr gut. Das macht die Leser scharf. Hä hä. Scharf.«
    »Wir haben noch einen sicheren Klick-Sieger: ein Sexologe, der für die Priorisierung von Sex in Paarbeziehungen spricht. Den bringen wir vielleicht etwas später.«
    Kåre nickt.
    »Sehr gut, Rikke.«
    Er galoppiert weiter.
    »Heidi?«
    Henning hat Heidi noch gar nicht wahrgenommen, aber jetzt sieht er sie. Sie ist genauso dünn wie damals und hat noch immer die markanten Wangenknochen und die tief in den Höhlen liegenden Augen. Sie hat sich viel zu knallig geschminkt, ihr Lipgloss lässt ihn an Neujahrsraketen und zu süßen Schampus denken. Sie beugt sich vor und räuspert sich.
    »Es besteht wohl kein Zweifel, was bei uns heute das Gesprächsthema Nummer eins ist. Der Mord auf dem Ekeberg. Ich habe soeben die Bestätigung bekommen, dass es sich um Mord handelt. Ein ziemlich brutaler obendrein. Die Polizei gibt später am Tag eine Pressekonferenz. Iver fährt direkt dorthin und bleibt nachmittags und abends an der Sache dran. Ich habe schon mit ihm gesprochen.«
    »Gut! Henning kann auch hingehen. Kannst du doch, oder, Henning?«
    Er zuckt zusammen, als er seinen Namen hört. Sagt »Hm«. Mit steigendem Tonfall. Er klingt wie ein Neunzigjähriger, der dringend ein Hörgerät braucht,
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