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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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90 Prozent aller erwachsenen Deutschen haben keine Vorsorge getroffen, für den Fall, nicht mehr selbst entscheiden zu können. Das heißt: Die meisten Menschen bereiten sich selbst auf den wöchentlichen Lebensmitteleinkauf besser vor als auf die letzten Monate ihres Lebens. Als könnte man allein durch Ignoranz Unsterblichkeit erlangen. Aber ein Disput mit dem Tod ist ziemlich aussichtslos, wie eine Szene aus dem Monty-Python-Film »Der Sinn des Lebens« zeigt: Während eines Essens klopft es an der Tür eines britischen Landhauses. Der Gastgeber öffnet. Der Besucher stellt sich gleich vor: »Ich bin der finstere Sensenmann. Ich bin der Tod.« Der Gastgeber meint, das sei nun gerade schlecht. »Die Sache ist die, dass wir ein paar Freunde zum Essen haben …« Der Tod legt nach: »Ich bin der erbarmungslose Mäher!« Der Gastgeber zu seinem Besuch: »Es ist der Mr. Tod, er möchte den Rasen mähen.« Der insistiert: »Ich bin der Sensenmann!« Die Gäste: »Ist das nicht ein komischer Zufall, gerade vor fünf Minuten haben wir über den Tod gesprochen.« So gibt ein Wort das andere, der Tod wird an den Rand des Gesprächs gedrängt, bis der ›erbarmungslose Mäher‹ die Geduld verliert. »Ich bin nicht von dieser Welt. Ich bin gekommen, um Sie zu holen … Sie mitzunehmen. Denn dies ist meine Bestimmung. Ich bin der Tod!« Einer der Gäste sagt: »Also das hat eine ziemliche Schwermut auf den Abend geworfen – nicht wahr?« Am Ende müssen wegen der verdorbenen Lachsschaumspeise doch alle mitgehen (Die Gastgeberin: »Das ist mir ja unglaublich peinlich!«) Aber noch im Sterben wird nachverhandelt: »Hey, ich habe gar nichts von der Schaumspeise gegessen …«
    »Alle Menschen besitzen einen Körper. Alle Körper sind sterblich. Auch deiner ist einer dieser Körper«, schreibt David Shields. [26] Sich einzubilden, der Tod würde eine Ausnahme machen, führt quasi zwangsläufig zu einigen unangenehmen Überraschungen. So erging es auch dem amerikanischen Schriftsteller William Saroyan, der noch kurz vor seinem letzten Atemzug staunte: »Jeder Mensch muss sterben, aber ich dachte immer, in meinem Falle würde eine Ausnahme gemacht.« Dass wir wirklich ausnahmslos alle sterben müssen, ist aber nicht der einzige große Schock. Das mindestens ebenso Empörende ist, dass sich unser Ende so gar nicht an unsere Sterbeerwartung hält. Laut Umfragen gehen die meisten von uns davon aus, wenn es denn schon unbedingt sein muss, in einem sehr hohen Alter (also frühestens mit 90 Jahren), von lieben Menschen betreut, zu Hause, schnell und schmerzlos, in Würde, also mit Kontrolle über alle Entscheidungen das eigene Sterben betreffend, den Löffel abzugeben. In Wirklichkeit aber werden 80 Prozent in einem Pflegeheim oder in einem Krankenhaus ihr Leben verlieren. [27] Dort übernehmen dann oft andere das Lenken und Denken. Sie entscheiden über Behandlungen, darüber, in welcher Klinik man landet, welche Maßnahmen ergriffen werden, über Beatmung ebenso wie über Dialyse, Organersatz, künstliche Ernährung oder den Einsatz von Psychopharmaka; darüber, ob dort ein Gitter ans Bett kommt, ob man mit Medikamenten oder sogar mit Fesselungen ruhiggestellt wird. Plötzlich wird über das Intimste und das vielleicht Schwerste im Leben, das Sterben, von Leuten entschieden, mit denen man, wie mein Deutschlehrer zu sagen pflegte, nicht einmal in demselben Briefkasten übernachtet hat und das ganz bestimmt auch nicht tun würde. Hätte man noch die Wahl. Hat man aber nicht. Die Kontrolle über die wesentlichen Dinge haben längst andere übernommen: ob die Wohnung aufgelöst wird, ob lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unternommen oder unterlassen werden. Ob man etwa eine PEG -Sonde bekommt, die einen gemeinsam mit einem stabilen Herzen in ein Gemüse mit exzellenten Lagereigenschaften verwandelt und damit in eine echte Trophäe für profitorientierte Pflegeheime: höchste Pflegestufe, keine Scherereien.
    Das alles, bloß weil man es versäumt hat, rechtzeitig eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht auszufüllen und damit selbst ein paar Regeln aufzustellen. Zum Beispiel: »Auf keinen Fall Klangschalen am Sterbebett« oder »Eine Magensonde nur über meine Leiche!«. Zugegeben, das ist nicht ganz einfach. Ständig wird man mit Überlegungen darüber verunsichert, ob man es später nicht einmal sehr bedauern wird, lebensverlängernde Maßnahmen auszuschließen. Könnte sein, so wird argumentiert, dass die
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