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Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Titel: Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)
Autoren: Holly-Jane Rahlens
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zweiter Glücksstern katapultierte ihn 1990 , als er sechsundzwanzig war, bis ganz nach Berlin: Ein neues Gesetz erleichterte es russischen Juden, sich in Deutschland niederzulassen. Der dritte Glücksstern ließ ihn eine Stelle im Aufnahmestudio Botown finden. Der vierte war Isabel Zwickel. Der fünfte und sechste waren seine Kinder – doch wir greifen vor.
     
    In der Musikbranche kannte man Mikhail auch als fähigen Geiger, der von Klassik über Klezmer bis Country jede Menge Musikstile beherrschte. An dem fraglichen Abend – sieben Jahre nach seiner Ankunft in Berlin – spielte er in der argentinischen Band Love Combo à Go Go bei einem Tango-Marathon. Mikhail – dunkelhaarig, dunkeläugig und mit einem hinreißenden Dreitagebart – sah aus wie der geborene Latin Lover.
    Isabel – groß, langbeinig, blond und blauäugig, eine Hobby-Tangotänzerin – wollte gerade den Ball verlassen, um den Nachtdienst in der Apotheke zu übernehmen. Mikhail war ihr auf der Bühne aufgefallen, weil er für einen Latino ungewöhnlich groß war. Sie war ihm aufgefallen, weil sie für eine so schöne Frau ziemlich lausig Tango tanzte.

    Während einer Pause, kurz bevor die Uhr zwölf schlug, verließ Isabel den Tanzsaal. Sie konnte es kaum erwarten, ihre neuen, spitzen Tangoschuhe loszuwerden, die erst noch eingelaufen werden mussten. Sie waren durchsichtig, hatten einen hohen Absatz mit Glitzersteinchen – und sie taten weh. Isabel bückte sich, um sie abzustreifen und in ihre vernünftigen, flachen Apothekerschuhe zu schlüpfen, als Mikhail, auf dem Weg zur Herrentoilette, zufällig absichtlich mit ihr zusammenstieß. Er entschuldigte sich überschwänglich, während sie ihre Stilettos aufhob. Sie mochte seinen Akzent, der gar nicht argentinisch klang. Im Gegenteil, er erinnerte sie an die Art, wie ihre geliebte russische Großmutter Channa Deutsch gesprochen hatte, und sie spürte sofort eine Verbindung zu diesem Mann. Mikhail wiederum, bezaubert vom Duft ihres Parfüms und ihrem unkomplizierten Charme, vergaß nicht nur, dass sie eine lausige Tangotänzerin war, sondern obendrein, dass er zur Toilette musste. Er begleitete sie nach draußen. Es war kurz nach Mitternacht, und sie kam zu spät zum Nachtdienst. Ihr Taxi hatte sich bereits in einen Kürbis verwandelt. Mikhail hielt ihr ein neues an, fragte sie nach der Adresse der Apotheke und gab sie dem Fahrer. Er schaute zu, wie die Taxilichter in die Nacht entschwanden, dann bückte er sich und hob den Schuh auf, den er heimlich aus ihrer Umhängetasche stibitzt und auf den Boden hatte fallen lassen, als sie nicht hinsah.
    Mikhail besuchte sie noch am selben Abend und klingelte sie an den Nachtschalter der Apotheke. Er zeigte ihr den Glaspantoffel, und sie lud ihn auf eine Tasse Fencheltee herein.
    Ein Jahr später kam Marco.
    Und zwei Jahre später, kurz nach dem Tod von Isabels Vater, sind wir endlich fast am Ausgangspunkt unserer Geschichte, denn nun tritt Stella Alisa Menzel auf den Plan – mit wildem, rotem Schopf und einem Wehgeschrei, das von Berlin bis zu den Bermudas zu hören war. Stella Alisa Menzel, das Mädchen mit dem verzauberten Stoff.
     
    «Das bin ich», sagte Stella. «Das ist meine Geschichte!»
    «Richtig», sagte Josephine. «Weißt du denn, was jetzt in deiner Geschichte passiert?»
    «Ich werde groß?»
    Josephine lachte und nahm ihre Enkelin fest in den Arm. «Ganz genau.»

Neuntes Kapitel S chneestern
    Am Tag von Stellas Geburt kam ihre Großmutter Josephine mit einem ganz besonderen Geschenk vorbei. Es war der blaue Satinschal für das Klavier, den sie in einen Himmel für Stellas Wiege umgeändert hatte. Der blaue Wiegenhimmel aus Seidensatin war das Erste, was Stella am Morgen beim Aufwachen sah, und das Letzte, bevor sie am Abend die Augen schloss.
    Als Stella ein paar Monate später groß genug für ein Gitterbett war, packte ihre Mutter Isabel den Himmel samt Wiege hocherfreut weg. Die Apothekerin in ihr hatte ihn ohnehin nie gemocht. Für sie war ein Wiegenhimmel in diesen Zeiten albern und obendrein noch ein Staubfänger und Allergiemagnet. Natürlich hätte sie nie zugegeben, dass sie das verdammte Ding so verabscheute, weil es sie an ihr klägliches Versagen beim Klavierspielen erinnerte. Stattdessen sagte sie: «Er ist so alt .» Womit sie auch recht hatte.
    Aber Stella schlief nicht gut in ihrem neuen Bett. Sie hatte sich an die Sterne und Schneeflocken gewöhnt. Und weil sie nicht gut schlief, schlief auch ihre Mutter
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