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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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gespielt hatte.
Aber Lauscher konnte es ja gar nicht sein. Rosenblüt wußte, daß Chengs Hund vor
Jahren gestorben war, altersschwach, inkontinent, blind und taub. Das alles
galt für diesen Hund hier nicht. Obgleich er kein junger Hund mehr war, war er
sowenig ein Greis wie ein Geist. Dennoch sah er dem Rüden, der Lauscher
gewesen war, zum Verwechseln ähnlich, dem Lauscher von damals.
    Welch dummer Zufall! Nun gut, solche Dinge geschehen,
müssen aber nicht ernst genommen werden. Darum sagte sich Rosenblüt: Das hat
nichts zu bedeuten. Gleichzeitig dachte er: Was aber, wenn doch?
    Rosenblüt herrschte den Hund an, um auch wirklich gehört
zu werden: "Geh weg!" Und, noch lauter: "Hau ab, du Mistvieh!"
    Das Mistvieh haute nicht ab. Zudem hatte das Mistvieh
keine Hundemarke. Und da war niemand, der etwa nach ihm gerufen hätte. Nein,
er stand eisern vor dem Kommissar, welcher natürlich einen Bogen um ihn hätte
machen können. Aber der Bogen gelang ihm nicht, und so stand Rosenblüt
seinerseits da wie angewurzelt, keine zwanzig Meter von seinem Wohnhaus
entfernt, gleichwohl unfähig, die rettende Flucht anzutreten.
    "Was sollen wir mit einem Hund?" fragte Aneko am
selben Abend. "Ich weiß es nicht", antwortete Rosenblüt. "Du
solltest ihn ins Tierheim bringen."
    "Ich glaube, er ist kein Tierheimhund."
    "Aha. Glaubst du also."
    "Ich will damit sagen, er gehört zu denen, die man
nicht abschieben kann."
    "Soll ich dir beweisen, daß man das kann?"
fragte Aneko, die nichts gegen Tiere hatte, solange sie nicht ihre Haare und
sonstigen Dreck auf blendendweißen Designersofas verteilten.
    "Das glaube ich gerne", sagte Rosenblüt, "daß
du das kannst. Aber der Hund ist ja nicht wegen dir da, sondern wegen mir."
    "Soll das heißen, er ist ein Bote? Ein göttliches
Zeichen?"
    "Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er dazugehört."
    "Wo dazugehört?"
    Rosenblüt konnte es nicht erklären. Er schwieg, wobei er
einen Blick aufsetzte, der wohl Mitleid erzeugen sollte.
    Aneko legte nach: "Frau Kepler wird toben."
    Frau Kepler war die Frau gegen den Staub. Nun, ganz sicher
würde sie toben. Doch Rosenblüt schwieg fortgesetzt. In dieses Schweigen hinein
grunzte der Hund in der seufzenden Weise philosophischer Ohnmacht. Er bettete
seine Schnauze auf das Parkett und schloß die Augen.
    "Er gehört sicher zu jemand, der ihn sucht",
meinte Aneko. Rosenblüt schüttelte den Kopf. "Er gehört zu mir. Ob ich
will oder nicht."
    "Ach was, du kennst ja nicht mal seinen Namen."
    Richtig, der Name. Sollte er ihn Lauscher nennen? Nein,
lieber nicht. Er sah sich um, als sei irgendwo im Raum der Name versteckt. Sein
Blick fiel auf die Klimtzeichnung an der Wand. Doch Hunde nach berühmten Malern
zu benennen, war Blödsinn. Er hielt weiter Ausschau. In diesem Moment
klingelte es. Der Hund rührte kein Ohr und keine Wimper. Er war ja auch nicht
hier, um zu wachen oder sonstwas Sinnvolles zu tun. Er war nicht einmal ein
Bote, sondern die Botschaft selbst.
    Aneko ging zur Türe und öffnete sie. Es war Frau Kepler.
Sie brachte die Abrechnung für den Monat.
    Kepler? Genau! Das war der Name! Der Hund hieß Kepler,
obschon es im ersten Moment komisch erscheinen mochte, wenn sowohl die Putzfrau
als auch der Hund diesen Namen trugen. Zudem konnte man der Ansicht sein, daß,
wenn es Blödsinn ist, Haustiere nach Malern zu benennen, es nicht minder
Blödsinn ist, sie mit den Namen von Astronomen auszustatten. Dennoch! Für
Rosenblüt stand die Sache fest.
    "War das Frau Kepler?" fragte er
scheinheilig, den Namen der Putzfrau betonend und mit einer als beifällig
getarnten Bewegung den Kopf schwenkend, um hinüber zu dem dösenden Hund zu
sehen. Und wirklich, sowenig das Geklingel den Mischling aus seiner Ruhe geholt
hatte, die deutliche Betonung des Namens führte dazu, daß seine Lider kurz
hochklappten, als sei er eben gerufen worden.
    Man kann sich solche Dinge natürlich einbilden. Doch auch
die Einbildung besitzt eine Gravitation, die unbestechlich ist.
     
    Am nächsten Morgen brach Rosenblüt etwas später ins Büro
auf, und es war nun ein echter Zufall, ein dummer dazu, daß er gerade in dem
Moment nach dem Hund rief - der quasi über Nacht sein Hund geworden
war -, als Frau Kepler, die zum Reinigen der Böden gekommen war, den großen
Wohnraum betrat.
    "Ja bitte?" fragte sie, etwas irritiert, weil
sie es eigentlich gewohnt war, mit "Frau" tituliert zu werden. Dann
sah sie den Hund. Der Schock war doppelt. Der Hund an sich und weil sie
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