Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen
Autoren: Markus Maria Profitlich
Vom Netzwerk:
Werner lobt mich. Ich würde perfekt den Patienten spielen. Ich spiele aber nicht. Der Zahn tut wirklich weh. Und wie beim echten Zahnarzt zieht Werner mit einer Wasserpumpenzange ein kleines Stück Zahn aus meinem Mund. Werner meint, mit mir Zahnarzt zu spielen würde riesigen Spaß machen. Mir nicht so.
    Abends tut es richtig weh. Im Bett stecke ich den abgebrochenen Zahn in den Mund. Vielleicht wächst er ja wieder an.
15. Juni 1965
    Am Morgen liegt der Zahn nicht mehr in meinem Mund. Aber angewachsen ist er auch nicht. Bekomme einen Verdacht. Nach dem großen Geschäft suche ich mit Mamas Fleischgabel in der Kloschüssel nach meinem Zahn. Mama kommt rein und fragt, was ich mache. Ich antworte, dass ich gerade Zahnarzt spiele. Mama guckt mich komisch an und drückt dann die Spülung. Weil mein Zahn jetzt ins Meer schwimmt, muss ich weinen. Mama guckt mich wieder an. Dann schaut sie mir in den Mund und sagt das böse Wort: »Scheiße!«
16. Juni 1965
    Bin mit Mama beim Zahnarzt. Wir müssen nicht warten, denn das Wartezimmer ist leer. Prima. Später lerne ich, dass dies kein gutes Zeichen sein muss. Dann darf ich auf den Behandlungsstuhl. Der Zahnarzt kommt und lächelt mich an. In seinem Mund hat er einen Zahn aus Gold. Wahrscheinlich hat er als Kind auch Zahnarzt gespielt. Ich erkläre, dass mein Zahn im Meer schwimmt. Der Zahnarzt lacht. Ich entdecke drei weitere Goldzähne. Dann muss ich den Mund aufmachen. Der Zahnarzt guckt rein, grunzt ein paarmal und sagt dann das böse Wort. Bin beunruhigt. Er geht mit Mama in eine Ecke und tuschelt mit ihr. Abwechselnd gucken sie mich an. Mama sieht ernst aus. Bin stark beunruhigt und will aufs Klo. Außerdem tut es plötzlich nicht mehr weh. Bis der Zahnarzt meine Zähne abklopft. Wie Werner. Er benutzt sogar dasselbe Werkzeug. Will weg, aber Mama sagt, der Rest meines weggeschwommenen Zahns müsse raus. Damit der neue besser nachwächst. Mama gibt mir einen verdächtig dicken Kuss und geht ins Wartezimmer. Der Arzt gibt ihr noch eine Packung Oropax. Wusste nicht, dass sich ein Zahnarzt auch um Ohren kümmert.
    Der Zahnarzt kommt mit einer Spritze. Spritzen kenn ich, denn ich bin schon mal geimpft worden. In den Po. Der Zahnarztwill mir die Spritze aber nicht in den Po stecken, sondern in den Mund. Ich will keine Spritze in meinem Mund, die andere vorher im Po hatten. Ich wehre mich und die Spritze fliegt auf den Boden. Der Arzt sagt das böse Wort und ruft dann Frollein Gisela. Frollein Gisela ist die dicke Frau, die uns begrüßt hat. Frollein Gisela soll mir die Hand halten. Sie hält aber nicht meine Hand, sondern meinen Kopf. Der Arzt hebt die Spritze auf und steckt sie mir in den Mund. Schreie wie am Spieß nach Mama und beschließe, nie wieder Zahnarzt zu spielen. Es schmeckt bitter in meinem Mund und ich muss brechen, auf Frollein Giselas Schuhe. Jetzt sagt auch Frollein Gisela das böse Wort. Der Zahnarzt sagt, nach zehn Minuten würde die Betäubung wirken. Zehn Minuten können eine Ewigkeit sein. Nicht hier. Denn nach zwei Minuten kommt der Zahnarzt wieder. In seiner Hand hat er eine Wasserpumpenzange. Wie Werner. Frollein Gisela hält mich fest. Der Zahnarzt steckt die Zange in meinen Mund. Ich schreie. Der Zahnarzt und Frollein Gisela sagen abwechselnd das böse Wort und dass es nicht wehtut. Lüge! Ich wehre mich so heftig, dass der Zahnarzt mit seiner Zange abrutscht. Dann macht es laut »Krack«! Der Zahnarzt zieht einen Zahn aus meinem Mund. Taste vorsichtig mit meiner Zunge nach dem, was von meinen Zähnen übrig ist. Bemerke neben dem abgebrochenen Zahn eine Lücke. Jetzt wäre ich eigentlich dran, das böse Wort zu sagen. Kann aber nicht sprechen. Nur schreien. Der Zahnarzt geht und kommt mit einem Werkzeug wieder, das Papa immer benutzt, um die Radkappen von seinem Käfer zu hebeln. Wenn Papa das Werkzeug benutzt, geht er immer in die Knie. Frollein Gisela kniet sich auch hin. Aber nicht auf den Boden, sondern auf meinen Brustkorb. Weiß nicht, was schlimmer ist: die Zahnschmerzen oder das Gefühl, von Frollein Giselas dicken Brüsten erdrückt zu werden. Bei Winnetou habich gesehen, dass die Indianer ihre Feinde an einen Pfahl binden und sie martern. Die Feinde bleiben aber immer standhaft. Klar, denn sie kannten Frollein Gisela noch nicht. Plötzlich macht es wieder »Krack«. Der Zahnarzt zeigt mir die Reste meines abgebrochenen Zahns und sagt, dass es doch gar nicht wehgetan hätte. Ihm nicht. Aber mir und Frollein Gisela, denn bevor mir der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher