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Stadt, Land, Kuss

Stadt, Land, Kuss

Titel: Stadt, Land, Kuss
Autoren: Cathy Woodman
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zeigen.
    »Aber Sie müssen doch etwas tun können.« Clives Stimme zittert.
    »Wenn ich ihn nicht operiere, stirbt er.« Das Ticken der Uhr über der Tür scheint lauter, eindringlicher zu werden, als Emma weiterspricht. »Eine Operation wird er dagegen sehr wahrscheinlich auch nicht überstehen.«
    Während Emma Clive die Gelegenheit gibt, diese Information zu verdauen, strecke ich eine Hand aus und streichle Robbies Kopf. Dabei treffen meine Finger auf ein verschrumpeltes Ohr und eine zweite Narbe, zusätzlich zu der längeren auf seiner Brust. Er sieht mich an, und irgendwo hinter den glasigen grauen Pupillen erhasche ich einen Blick auf den Hund, der er einmal war und vielleicht noch immer ist. Ein Kämpfer.
    »Versuchen Sie es.« Clive wickelt eine verschlissene Lederleine um seine Faust. »Kann ich so lange warten?«
    »Es wird eine Weile dauern«, antwortet Emma. »Ein paar Stunden, vielleicht noch länger.«
    »Jetzt habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen, aber so lange kann ich nicht bleiben. Ich muss zurück in den Pub«, meint Clive.
    »Ich rufe Sie an, sobald ich Ihnen etwas Genaueres sagen kann«, verspricht Emma.
    »Danke, Emma. Bitte tun Sie alles, was möglich ist. Ganz gleich, wie viel es kostet. Er bedeutet mir alles …«
    »Also kein Druck«, sage ich, nachdem Clive fort ist. Zuvor hat er die Einverständniserklärung unterschrieben und Robbie zum Abschied umarmt, wohl wissend, dass er ihn vielleicht nicht mehr lebend wiedersehen wird.
    Emma lächelt kläglich.
    »Ich finde trotzdem, dass er recht hat«, bekräftige ich. »Wenn Robbie mein Hund wäre, würde ich ihm auch eine Chance geben wollen.«
    Wenige Minuten später sind wir im Operationsraum. Emma steht mir gegenüber, mit frisch desinfizierten Händen, in OP-Kittel und Handschuhen. Zwischen uns auf dem OP-Tisch liegt Robbie, den Bauch nach oben gedreht und fast vollständig unter blauen Baumwolltüchern verborgen. Die Zunge hängt ihm schlaff aus dem Maul, daneben der Luftröhrentubus, der seine Lunge mit Sauerstoff und einem Narkosegas versorgt. Die Infusionslösung tropft in hoher Geschwindigkeit aus dem Beutel am Infusionsständer in einen Schlauch, durch den sie in die Vene an seinem Vorderbein läuft.
    »Wie geht’s ihm, Maz?« Emmas OP-Haube rutscht auf ihrer Stirn hoch, bis der Haaransatz sichtbar wird, und ihre Augen blicken ängstlich über der Maske hervor.
    »Nicht besonders.« Immer wieder prüfe ich die Spannung im Kiefer des Hundes, um festzustellen, wie stark die Narkose ist. »Ich glaube kaum, dass er uns gleich vom Tisch hüpft.«
    Emma nimmt ein Skalpell und führt damit einen geraden Schnitt durch die Haut am Bauch des Hundes aus. Dann greift sie zu Wundspreizer und Schere und erweitert den Schnitt. Ein Schwall Blut schießt aus der Wunde, eine Darmschlinge quillt heraus, gefolgt von noch mehr Blut.
    »Ich brauche mehr Tupfer«, sagt sie ruhig.
    »Wie viele?«
    »Alle, die wir haben.«
    Ich reiße mehrere Packungen mit Gazetupfern auf und schütte sie auf das Instrumententablett auf dem Beistelltisch. Emma nimmt eine Handvoll und tupft damit das Blut weg. Auf ihrer Stirn bilden sich Schweißperlen. Ich sehe, wie sie sich vor Konzentration auf die Unterlippe beißt, während sie nach der Ursache der Blutung sucht. Wenn jemand Robbie retten kann, dann sie.
    »Was meinst du?« Emma schiebt das Ende des Absaugschlauchs in Robbies Bauchraum. Ich schalte das Gerät ein.
    »Nicht gerade der beste Platz, um seine Kontaktlinsen zu verlieren«, sage ich leichthin, doch tief in meinem Inneren schwindet meine Zuversicht, je mehr der Tisch vor mir einer Szene aus dem Kettensägenmassaker gleicht.
    »Ah, da ist es«, murmelt Emma. Ihre Stimme wird durch das Gurgeln des Blutes im Sekretbehälter gedämpft. »Es ist die Milz – sie ist gerissen.«
    Ein metallischer Geruch steigt mir in die Nase, und meine Handflächen werden vor Angst ganz heiß. Ich sehe, wie das Blut aus Robbies Bauch an Emmas Plastikschürze hinunterläuft und in ihre Crocs tropft, während sich sein Puls unter meinen Fingern zu einem kaum noch wahrnehmbaren Flackern abschwächt.
    »Emma, ich fühle keinen Puls mehr.« Ich greife nach dem Stethoskop und versuche es stattdessen mit dem Herzschlag. Er ist sehr leise, als hätte ich mir Watte in die Ohren gesteckt. »Ich glaube, wir verlieren ihn.«
    »Nein, das tun wir nicht«, erwidert Emma wild entschlossen, und sie hat recht, wir können ihn jetzt nicht einfach sterben lassen.
    Ich denke an den Ausdruck in
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