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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden
Autoren: China Miéville
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Schichteltern und -geschwister. Ich kehrte zurück, als ich elf war: verheiratet; nicht reich, aber mit Ersparnissen und etwas Besitz. Ich wusste ein wenig darüber, wie man kämpfte, wie man Befehlen gehorchte, wie und wann man ihnen nicht gehorchte und wie man in das Immer eintauchte.
    In mehreren Sachen war ich mittelmäßig bis gut geworden, doch, wie ich glaube, nur in einer überragend. Nicht in Gewalt. Das ist eine alltägliche Gefahr des Hafenlebens, und während meiner Zeit in der Fremde hatte ich immerhin fast so viele Kämpfe gewonnen wie verloren. Ich sehe stärker aus, als ich bin. Zudem konnte ich mich immer schnell bewegen, und wie viele mittelmäßige Schläger war ich gut darin geworden, mehr Fertigkeiten anzudeuten, als ich tatsächlich beherrschte. Und ich konnte Auseinandersetzungen vermeiden, ohne offenkundig feige zu wirken.
    Ich war schlecht, wenn es um Geld ging, hatte aber einiges angehäuft. Auch konnte ich nicht behaupten, dass ich ein echtes Geschick für die Heirat besaß, doch ich war besser darin als viele andere. Ichhatte zwei vorausgehende Gatten und eine Frau gehabt. Aufgrund sich ändernder Vorlieben hatte ich sie verloren, und zwar ohne jegliche Verbitterung: Wie schon gesagt, ich war nicht schlecht, was das Heiraten anbelangte. Scile war meine vierte Verbindung.
    Als Immer-Eintaucherin stieg ich zu den Rängen auf, die ich anstrebte – zu denen, die mir ein bestimmtes Prestige und Einkommen bescherten, ohne dass ich eine großartige Verantwortung übernehmen musste. Und genau darin war ich überragend: in jenem Lebensstil, der Geschick und Glück, Faulheit und Dreistigkeit verbindet, eine Technik, die wir Floaking nennen.
    Immer-Eintaucher, glaube ich, haben sich diesen Begriff ausgedacht. Jeder hat etwas von einem Floaker in sich: Es gibt einen kleinen Teufel auf deiner Schulter. Nicht jeder, der einer Mannschaft angehört, strebt an, diese Technik zu meistern. Es gibt jene, die anführen oder forschen wollen, doch für die meisten ist Floaking unabdingbar. Manche Leute halten es für bloße Trägheit, doch es ist eine aktivere und differenziertere Technik als das. Floaker haben keine Angst vor Anstrengung; viele Mannschaftsmitglieder arbeiten sehr hart, um überhaupt auf ein Schiff zu kommen. So wie ich.
    Wenn ich an mein Alter denke, denke ich immer noch in Jahren, sogar nach all dieser Zeit und den Reisen. Es ist eine schlechte Angewohnheit, und das Schiffsleben sollte mich eigentlich davon geheilt haben. »Jahre?«, brüllte einer meiner ersten Offiziere mich an. »Das ist mir total scheißegal, was es auch immer an siderischem Blödsinn in Ihrer Pisspott-Heimat gibt. Ich will wissen, wie alt Sie sind.«
    Antworte in Stunden. Antworte in subjektiven Stunden: Keinen Offizier kümmert es, wenn du irgendetwas verlangsamt hast im Vergleich zu deiner Pisspott-Heimat. Niemanden kümmert es, mit welcher der zahllosen Jahreslängen du aufgewachsen bist. Also: Als ich rund 170 Kilostunden alt war, verließ ich Botschaftsstadt. Ich kehrte zurück, als ich 266 Kilostunden alt war: verheiratet, mit Ersparnissen und dem Wissen, ein paar Dinge gelernt zu haben.
    Ich war etwa 158 Kilostunden alt, als ich lernte, dass ich in das Immer eintauchen konnte. Da wusste ich, was ich tun würde.
    Ich antworte in subjektiven Stunden; ich muss objektive Stunden vage im Gedächtnis behalten. Ich denke in den Jahren meiner Geburtsheimat, die selbst von den Zeitabläufen eines anderen Ortes geprägt worden waren. Nichts von dem hat irgendetwas mit Terre zu tun. Ich traf einst einen Junior-Immer-Eintaucher von irgendeiner sich selbst hassenden Hinterwäldlerwelt, der in, wie er es selbst nannte, »Erdjahren« rechnete. Dieser lächerliche Trottel. Ich fragte ihn, ob er an dem Ort gewesen war, wo es diese Zeitrechnung gab, gemäß der er lebte. Natürlich hatte er nicht mehr Ahnung als ich, wo das war.
    Als ich älter geworden bin, ist mir bewusst geworden, wie wenig bemerkenswert ich bin. Was mir passierte, passierte nicht vielen Einwohnern von Botschaftsstadt – was gewiss auch eine Bedeutung hat –, doch die Geschichte, wie es passierte, ist klassisch. Ich wurde an einem Ort geboren, von dem ich Tausende von Stunden glaubte, dass er mir alles bot, was ich vom Universum brauchte. Dann wusste ich ganz plötzlich, dass dies nicht der Fall war, aber dass ich keine Möglichkeit haben würde, wegzugehen. Und dann konnte ich den Ort doch verlassen. Das Gleiche hörst du überall, und zwar nicht nur unter
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