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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden
Autoren: China Miéville
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ihnen nie diese Entfremdung spürbar, diese unüberbrückbare Ferne, die uns von den Gastgebern trennte. Ein Shur’asi-Ladenbesitzer würde sogar mit uns Witze machen. Sein Akzent wäre zwar bizarr, doch sein Humor klar und verständlich.
    Später begriff ich, dass diese anderen Einwanderer ausschließlich Spezies angehörten, mit denen wir – wenn auch in unterschiedlichem Maße – konzeptuelle Muster gemeinsam haben. Die Gastgeber, die Eingeborenen also, in deren Stadt man uns liebenswürdigerweise erlaubt hatte, unsere eigene Botschaftsstadt zu erbauen, waren kühle, unbegreifliche Wesenheiten. Mächte wie niedere Götter, die uns manchmal beobachteten, als ob wir interessanter, seltsamer Staub wären, die uns die Bio-Fabrikate lieferten, die wir benutzten, und mit denen die Botschafter allein kommunizieren konnten. Man erinnerte uns regelmäßig daran, dass wir ihnen Höflichkeit schuldeten. Wenn wir auf der Straße an ihnen vorbeigingen, erwiesen wir ihnen den erforderlichen Respekt, und anschließend liefen wir kichernd weiter. Doch ohne meine Freunde konnte ich meine Furcht nicht mit Albernheit überspielen.
    »Das Wesen fragt, ob es dem Jungen wieder gutgehen wird«, teilte der Mann mir mit und rieb sich über den Mund. »Einfach ausgedrückt hat es etwas gesagt wie: ›Wird er später laufen, oder wird er erkalten?‹ Es will helfen. Es hat geholfen. Es hält mich wahrscheinlich für unhöflich.« Der Mann seufzte. »Oder für geisteskrank. Weil ich ihm nicht antworte. Es kann nicht erkennen, was mir fehlt. Wenn dein Freund nicht stirbt, dann nur deshalb, weil es ihn hergebracht hat. Die Gastgeber haben ihn gefunden.« Ich konnte erkennen, dass der Mann sich bemühte, freundlich zu mir zu sprechen. Er schiendarin keine Übung zu haben. »Sie sind in der Lage, zu uns zu kommen, doch sie wissen, dass wir unseren Bereich nicht verlassen können. Sie wissen mehr oder weniger, was wir benötigen.« Er wies auf das Haustier des Gastgebers. »Sie haben ihre Maschinen benutzt, um ihm Sauerstoff zu geben. Vielleicht wird Yohn sich wieder ganz erholen. Die Polizisten werden bald hier sein. Dein Name ist Avice. Wo lebst du, Avice?«
    Ich erzählte es ihm.
    »Kennst du meinen Namen?«
    Natürlich hatte ich den Namen gehört. Doch ich war mir nicht sicher, wie ich ihn höflich aussprechen sollte. »Bren«, antwortete ich schließlich.
    »Bren. Das ist nicht richtig. Verstehst du das? Du kannst nicht meinen Namen sagen. Du darfst ihn buchstabieren, aber du kannst ihn nicht sagen. Andererseits kann ich meinen Namen auch nicht sagen. ›Bren‹ ist so gut, wie jeder von uns es machen kann. Das Wesen …« Er schaute auf den Gastgeber, der würdevoll nickte. »Nun, es kann meinen Namen sagen. Aber das hilft uns nicht weiter: Es und ich können nicht mehr miteinander sprechen.«
    »Warum haben sie Yohn zu Ihnen gebracht, Sir?« Sein Haus stand zwar in der Nähe des Zwischenraums, wo Yohn sich herumgetrieben hatte, doch lag es wohl kaum in der Nachbarschaft davon.
    »Sie kennen mich. Sie haben deinen Freund zu mir gebracht, weil sie mich auch wiedererkennen, obwohl sie wissen, dass etwas mit mir geschehen ist, dass mir etwas fehlt. Sie sprechen, und sie müssen hoffen, dass ich ihnen antworten werde. Ich bin … Ich muss … sehr verwirrend für sie sein.« Er lächelte. »Ich weiß, das ist alles töricht. Glaub mir, ich weiß das genau. Weißt du, was ich bin, Avice?«
    Ich nickte. Jetzt weiß ich natürlich, dass ich keine Ahnung hatte, was er war, und ich bin mir nicht sicher, ob er es selbst wusste.
    Die Polizisten trafen schließlich ein, mit einem Ärzteteam, und Brens Raum wurde zu einem improvisierten Behandlungszimmer. Yohn wurde intubiert, bekam Medikamente und wurde überwacht. Bren zog mich behutsam fort, damit ich den Ärzten nicht im Weg stand. An einer Seite reihten wir uns auf: ich, Bren und der Gastgeber. Sein Tier leckte meine Füße mit einer Zunge, die sich wie eine Feder anfühlte. Ein Polizist verbeugte sich vor dem Gastgeber, der als Antwort sein Gesicht bewegte.
    »Danke dafür, dass du deinem Freund geholfen hast, Avice. Vielleicht geht es ihm demnächst wieder gut. Und dich werde ich bald wiedersehen, da bin ich mir sicher. ›Schwinge fein, neige dich, Schweinchen und Sonnenlicht?‹« Bren lächelte.
    Während mich zu guter Letzt ein Polizist hinauskomplimentierte, blieb Bren mit dem Gastgeber zusammen stehen. Das Wesen hatte eine seiner Extremitäten in kameradschaftlicher Weise um ihn
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