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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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Pappschachtel voller winziger Glasflaschen die drei an vorderster Stelle. Er atmete tief ein und aus. Es sorgte für eine gewisse Beruhigung, dass er sich noch vor dem Ableben seines Freundes ein letztes Mal mit den zwingend nötigen Arzneimitteln eingedeckt hatte. Und noch viel wichtiger: er besaß die Rezepturen. Mittlerweile hatte er ein Gespür dafür bekommen, welche der drei Wirkstoffe miteinander zu kombinieren waren und in welcher Menge. Letztlich wechselte nur die Dosierung in regelmäßigen Abständen. Nichts also, was er nicht selbst hinbekommen könnte.
    Doch wenn er ehrlich zu sich war: es spielte vermutlich keine Rolle; nicht mehr. Mit Erfüllung der ersten Prophezeiung war seine Lebenszeit ja ohnehin schon sehr beschränkt worden. Falls er die Visionen richtig gedeutet hatte – und er war sich sicher, dass das der Fall war –, würden sich die kommenden Ereignisse in den nächsten Tagen oder Wochen abspielen. Keine Sache von Monaten oder Jahren. Das alles würde jetzt zügig seinen vorbestimmten Gang nehmen.
    Der Pater füllte den Plastikbecher vor sich zu drei Viertel mit stillem Wasser und gab jeweils fünf Tropfen des hochwirksamen Arzneimittels dazu. Die drei kleinen Flaschen verschloss er danach wieder. Mit einem Plastiklöffel rührte er das Gemisch aus Wasser und Wirkstoff genau 15 Mal um und wartete einige Sekunden. Dann nahm er zwei Teelöffel davon ein.

33
    Irritiert schaute er sich um, tastete, fühlte, lauschte. Er hörte Schreie, aber weit entfernt, nicht in seinem unmittelbaren Umfeld. Der Boden war kalt – kalt und feucht. Mit den Händen versuchte er seinen Körper zu stützen, doch es fehlte die Kraft, sich aufzurichten. Er zitterte. Sein Herzschlag war leise, die Atmung flach. Hier unten roch es entsetzlich nach Urin und Kot. Was war geschehen?
    »Wach auf!«
    Diese Stimme. War das seine Stimme? Teilnahmslos ertrug er die Schläge in sein Gesicht und auf den Oberkörper. Sollten sie ihn aus seiner Benommenheit reißen? Er war doch schon wach – und bei Bewusstsein. Musste er das vielleicht deutlicher zum Ausdruck bringen?
    Tatsächlich. Die ungezielten Bewegungen seiner Arme stoppten die Schläge. Verstört schaute er nach oben. Mit einem Mal erinnerte er sich daran, wo er war. Nur wer stand da vor ihm? Wer hatte ihn vom Foltertisch befreit und die Fesseln gelöst? Ein Freund?
    Im Schein der Fackeln erkannte er sie dann wieder. Es musste die gleiche Person sein, die sich vorhin über ihn gebeugt hatte. Selbst bei diesen Lichtverhältnissen waren ihre weiblichen Rundungen nur allzu deutlich erkennbar.
    Fragend schaute er an die Stelle, wo er ihre Augen vermutete. Ihr Gesicht war schwarz. Alles war schwarz. Nur ihre menschlichen Umrisse flackerten immer wieder kurz auf, folgten dem unregelmäßigen Spiel der Flammen an den Wänden. Die Person schien mehrere kurze Stäbe in der rechten Hand zu halten – keine Fackeln, die hätte er als solche erkannt.
    »Wee be uu?« Es waren nur Bruchstücke einzelner Wörter, die aus seinem Mund entwichen, denn mit der Frage, die er stellen wollte, kamen die Schmerzen. Seine Unterlippe brannte und schien an Festigkeit verloren; seltsam schwach hing sie nach unten. Eine kurze Berührung mit seinem Finger ließ ihn vor Schmerz zusammenzucken.
    »Schweig!«
    Er gehorchte. Das musste ihre Stimme sein. Sekunden später spürte er eine Hand zärtlich über seinen Kopf streichen, und für einen kurzen Moment tat das unendlich gut. Doch dann versuchte er sich wegzudrehen. Was sollte das? Er war doch kein verängstigtes Kind! Er war ein Soldat Gottes, wenn auch nicht länger mit einem Schwert.
    Der Versuch, sich aufzurichten, seinen stattlichen Körper zu erheben, misslang – dazu fehlte ihm die Kraft. Nur ein leises Stöhnen, das war alles. Zu mehr war er nicht fähig.
    »Trink!«
    Dieser Befehlston. Welches Weib wagte es, so mit ihm zu sprechen? Im nächsten Moment spürte er eine Flüssigkeit in seinem Rachen, und der abscheuliche Geschmack ließ ihn die Schmerzen der Unterlippe vergessen. Wollte sie sein Inneres nach außen kehren?
    Gerade drehte er seinen Kopf zur Seite, um sich nicht vor ihren Füßen zu erbrechen, als ihm etwas die Kehle zudrückte. Sie hatte ihn am Hals gepackt und mit einer einzigen Hand richtete sie ihn regelrecht auf. »Was für ein Teufelsweib!«, dachte er und rang nach Luft.
    Sekunden später löste sich der Griff um seinen Hals. Ein Schritt nach links, ein Schritt nach rechts. Er wankte. Dann stand er plötzlich
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