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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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da, vom Schlaf aufzustehen!« Thomas umklammerte das Lenkrad fester. Gleich morgen, nach der Beerdigung von Professor Arndt, wollte er zu seinem Vater fahren. Und dann würde er sie ihm ins Ohr flüstern, diese magischen Worte.
    Thomas drehte den Zündschlüssel. Morgen erwartete er nichts anderes als ein perfektes Wunder.
    Alexander hörte das Aufheulen eines Automotors vorm Haus. Es klang, als ob der Fahrer beim Anfahren keinen Gang eingelegt hätte.
    »Auch nur ein Mensch«, dachte Alexander und schmunzelte. Er stellte sich den Kommissar vor, der das kleine Missgeschick bestimmt ganz locker nahm. Ja, der Kommissar war cool. Man könnte mit ihm über alles reden, davon war er fest überzeugt.
    Alexander dachte an den Vertrauenslehrer in der Schule und ihm wurde schlecht. Aus irgendeinem Grund hatte er damals angenommen, dass es bei diesem eine Art Beichtgeheimnis gäbe. Das war ein Irrtum gewesen; das wusste er jetzt – danach. Mit dem Schulbetrieb an sich hatte Alexander allerdings aktuell keinerlei Probleme. Der war nämlich wegen aufwendiger Sanierungsarbeiten noch mindestens zwei Wochen eingestellt. Der Grund war einfach: Asbest. Nachdem einige stark alkoholisierte Schüler den Leichtathletik-Barren in der Turnhalle als Rammbock missbraucht hatten, war an einer Wand ein nicht unbedeutender Schaden entstanden. Da der Hausmeister mit der Reparatur überfordert war, wurde eine Baufirma hinzugezogen. Diese entdeckte dann die Altlast auch bei anderen Gebäuden auf dem Schulgelände – für den privaten Schulträger ein Fluch, für die Schüler ein Segen. Auch wenn nach neuesten wissenschaftlichen Gutachten keine unmittelbare Bedrohung von dem tief in den Wänden eingebetteten Asbest ausging, war die rechtliche Lage eindeutig: Der Gefahrenstoff musste umgehend beseitigt werden.
    Für einige Sekunden beobachtete Alexander seine Mutter, die auf ihrer Lieblingscouch saß. Ihr Kopf war leicht nach vorne gebeugt – sie schlief. Dann kamen die Tränen und er ging ins Arbeitszimmer seines Vaters.

32
    Das Wetter war überraschend mild. Nichts deutete auf den seit Tagen angekündigten Schneesturm mit seinen apokalyptischen Ausmaßen hin. Pater Johann bekam von alledem nichts mit. Die dicken Klostermauern schirmten ihn perfekt von der Außenwelt ab und der Samtvorhang isolierte seine private Leseecke von der restlichen Bibliothek. Stille. Kleinere Geräusche, wie sie durch Schritte oder das Herausnehmen von Büchern aus den Regalen entstehen konnten, wurden von dem dichten Stoff regelrecht verschluckt.
    Seit den frühen Morgenstunden saß der Pater hier, tief in sich versunken. Seine Rede am Grab war bei den Trauernden gut angekommen; ein schwacher Trost für ihn. Er ließ die letzten Wochen Revue passieren. Der Verlust seines besten Freundes und Weggefährten schmerzte sehr, doch er hatte es kommen sehen, anders gesagt: Der Tod des Professors war längst überfällig gewesen. Die Prophezeiung hatte dessen baldiges Ableben deutlich angekündigt.
    Hätte er seinen Freund warnen sollen? Nein, das wäre sinnlos gewesen – die Schrift musste erfüllt werden. Das WIE war allerdings auch für den Pater völlig überraschend gewesen. Einzig das Zusammentreffen zwischen dem Freund und der Novizin hatte er bewusst herbeigeführt. Und dann hatte das eine zum anderen geführt; ganz ohne sein Zutun. Jedenfalls konnte er sich jetzt sicher sein, dass hier eine größere Macht zu Gang war. Sein Glaube wurde nicht länger auf die Probe gestellt. Das alles war kein Zufall, keine krankhafte Vision, auch wenn er die Bilder bisher anders gedeutet hatte – mehr symbolisch. Dass die viele Jahrhunderte alten Zeichnungen nahezu eins zu eins auf die Gegenwart übertragbar waren, hätte er nie für möglich gehalten.
    Pater Johann fasste wieder die zwei vor ihm liegenden Bilder ins Auge: Das eine zeigte das Verbrennen des Heilers – der Professor wurde durch die Strahlen geradezu innerlich gekocht. Das andere stellte einen mechanischen Handersatz dar – nichts anderes als eine moderne Prothese.
    Der Pater schwitzte. Diese altertümlichen Skizzierungen waren genau so eingetroffen. Der erste Akt war also abgeschlossen. Und während der Pater mit seinen zitternden Händen das Pergamentstück zusammenrollte, erfasste er zum ersten Mal die letzten Geschehnisse in ihrer gesamten Tragweite. Das alles spielte sich nicht länger nur in seinen Gedanken ab – das war real. Aus einer möglichen Zukunft war die Gegenwart geworden. Die ganze Last der
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