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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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kleingedruckt.
    Alexanders Trauer ging schnell in Wut über. Und auf die Wut folgte Hass. Hass auf die Reporter. Hass auf alle, die seinen Vater durch Vorverurteilungen in den Dreck zogen. Er verglich sie mit denen, die sich jeder Verschwörungstheorie sofort ergaben; die zu bequem waren, sich erst ausführlich zu informieren.
    Nachdem Alexander es dann in den Augen seiner Mutter regelrecht sehen konnte – das gebrochene Herz, stellte er sich die kommenden Schlagzeilen vor: »Wie der Vater so der Sohn! Verrückter zerbombt Übertragungswagen! Lieferte Mutter den Sprengstoff?« Dazu folgend die Bilder von zwei Reporterinnen: »Diese hübschen jungen Frauen mussten sterben!« Hässliche Opfer schafften es nur ohne Bild in die Zeitung, da war sich Alexander sicher.
    Nein, er würde niemanden in die Luft sprengen. Aber er würde sich ein Ventil suchen müssen, damit es ihn innerlich nicht zerriss. Dazu kamen die Zweifel, seinen Vater betreffend. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen, hatte man ihnen gesagt. Aber dass da etwas Geheimnisvolles vor sich gegangen war, das spürte Alexander, das machte ihm Angst. Und welche Rolle spielte die junge Nonne? Mit seiner Mutter konnte er darüber nicht reden, nicht mehr. Sie beharrte auf einen Unfall; auf die Kombination mehrerer unglücklich verlaufender Begebenheiten. Den absichtlichen Freitod ihres Mannes schloss sie jedenfalls kategorisch aus. Was sie sich allerdings gut vorstellen konnte, das waren Selbstversuche zur weiteren Optimierung seiner Maschine. Für sie war der Vater ihres Kindes ein Held, wenngleich ein tragischer.
    Und dann, ein Tag vor der geplanten Beisetzung, klingelte es an der Tür. Die Mutter ließ vor Schreck eine der Beileidskarten fallen und Alexander dachte sofort an einen Reporter, der sich wieder irgendwie aufs Grundstück geschlichen haben musste, am Streifenwagen vorbei. Wütend stürzte er zur Haustür, schaute durch das runde Guckloch. Doch es war kein Reporter. Alexander atmete erleichtert auf. Es war der Kommissar, der ihn auf dem Revier so respektvoll verhört hatte. Der, der ihm fast noch überschwänglicher als sein Vater dafür gedankt hatte, dass er die junge Nonne vor dem Erfrierungstod bewahrt hatte.
    Alexander öffnete die Tür.
    »Wer ist es?«, hörte er seine Mutter vom Esszimmer aus mit trockener Stimme fragen.
    »Ein Freund!«, rief er sofort zurück und fügte leicht verlegen »Der Kommissar!« hinzu.
    In der kommenden Stunde hielt Alexander die Hand seiner Mutter, während sie beide den ausführlichen Erläuterungen von Thomas Schlund folgten. Zu keinem Zeitpunkt empfanden sie es als nötig, ihn zu unterbrechen. Keine Zwischenfragen, keine einfügenden Kommentare. Sie lauschten der klaren Stimme – und verstanden. Die bis ins kleinste Detail rekonstruierte Abfolge der Geschehnisse ließ zwar viele Fragen offen, gab allerdings eine für Mutter und Sohn ganz entscheidende Antwort: kein Selbstmord. Ein Experte hatte den Computertomographen weitgehend in seine Einzelteile zerlegt und tief im Inneren einen mechanischen Schaden entdeckt. In Verbindung mit der Verletzung von Marie Kraft schien letztlich die Schlussfolgerung des Kommissars stimmig: Der Professor hatte einen Selbstversuch unternommen – mit tödlichen Konsequenzen. Eine gewollte Manipulation Dritter schloss der Experte der Betreiberfirma jedenfalls aus. Dazu hätte man die Maschine nahezu vollständig auseinandernehmen und danach wieder zusammenbauen müssen. Ein vor allem zeitintensives Unterfangen, das durch den nachweisbar stetigen Betrieb des Tomographen nicht möglich gewesen wäre.
    Wenig später stieg der Kommissar zufrieden in seinen Dienstwagen. Er wusste, dass er einen Großteil der Puzzleteile bei diesem Fall richtig zusammengefügt hatte. Auch wenn er der Mutter und ihrem Sohn einige erschreckende Details verschwiegen hatte, war er bei der Hauptaussage doch ehrlich gewesen – es war definitiv kein Selbstmord. Das war für die Hinterbliebenen wichtig; das war es immer. Und der Dank? Der Dank war ein herzlicher Händedruck von einer Mutter und deren Sohn.
    Der Zündschlüssel steckte. Thomas dachte an Marie, an die von dem Experten ausgebauten, völlig unerklärlichen Bauteile aus dem Innenraum des Computertomographen. Und er dachte an seinen Vater. Da lag etwas in der Luft, das spürte er mit jedem Atemzug – Hoffnung. Da drängte ihn etwas, zu handeln – Entschlossenheit. Thomas rief sich das Zitat aus der Bibel in Erinnerung: »Die Stunde ist
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