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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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instinktiv an die Stelle, wo er die entzündete rechte Hand vermutete, doch schien Marie diese ganz bewusst hinter der Tür zu verbergen. Überrascht schaute er ihr in die Augen und erkannte eine tiefe Müdigkeit und Schwäche, die Marie offenbar nicht länger unterdrücken konnte.
    Während Thomas sich ihr näherte, fiel sein Blick in den hell beleuchteten Innenraum. Er sah das, was Marie eben offenbar mit dem »Es sieht schlimmer aus, als es ist« gemeint hatte: Da war Blut. Überall Blut. Das Waschbecken, die Bodenfließen – blutverschmiert. Der durchsichtige Duschvorhang – tiefrot verfärbt. Blut. Alles war voller Blut. Und als Thomas in dem, was im Waschbecken lag, ein Gemisch aus den Knochen einer Hand und Gewebefetzen vermutete, spürte er den Drang, sich zu übergeben. Doch da war nichts in seinem Magen. Er würgte kurz, dann schluckte er die hochgekommene Magensäure wieder hinunter.
    »Wie gesagt … es sieht …« Weiter kam sie nicht. Sie fiel; allerdings so, dass Thomas sie auffangen konnte und langsam mit ihr zu Boden ging.
    Sekunden später saß er auf dem kalten Boden – den Rücken an die Wand gelehnt. In seinen Armen Marie, mit geschlossenen Augen und schwach atmend.
    »Marie?«, flüsterte er ihr mehrmals ins Ohr. Dann schrie er.

29
    Schwester Beate faltete den Beipackzettel in ihrer Hand sorgfältig zusammen und steckte ihn in eine der größeren Arzneimittelverpackungen direkt vor ihr. Der Schreibtisch war vollkommen überladen, doch für alles schien es einen festen Platz zu geben. Das Schwesternzimmer machte einen perfekt aufgeräumten Eindruck.
    »Wir bekommen sie wieder hin!« Die ältere Krankenschwester mit dem bubenhaften Kurzhaarschnitt verzog keine Miene, während sie sprach. »Früher war so ein Blutverlust tödlich. Heute ist das zwar immer noch kritisch … aber nicht das Ende.«
    Thomas schaute wie in Trance in die Richtung, von der er die Stimme vernahm. Er schätzte die Frau auf Mitte 50.
    »War wohl selbst für einen Polizisten etwas zu viel Blut.«
    Thomas antwortete nicht. Er mochte diese Stimme nicht. Sicher meinte es die Schwester gut, aber ein Smalltalk, jetzt und vor allem über Marie, nein – nicht mit ihm.
    Die Schwester schaute aus dem Fenster, schien jemandem zuzuwinken. Draußen war es heller geworden und es schneite wieder, oder noch immer. Egal. Er sah nur Marie und all das Blut, ihr Blut. Sie hatte offenbar mit einer Nagelfeile ihre rechte Hand abgetrennt. Aber warum? Sie wusste doch, dass eine Amputation sowieso unmittelbar bevorstand. Warum die überstürzte Handlung?
    Thomas kam einfach nicht zur Ruhe. Mit seinen Händen umklammerte er die Stuhlbeine. Dann hörte er sie wieder; diese nervende Stimme:
    »Unser Hausmeister mit seinem Licht. Er scheint das Problem gelöst zu haben; jetzt wo es sowieso heller wird. Was für eine Nacht!« Die Schwester stöhnte und setzte sich.
    »Erst das geheimnisvolle Licht, das offenbar nur er sehen konnte … dann das Blutbad.« Die Schwester stöhnte ein zweites Mal; es war mehr ein Seufzen. »Und dann der Selbstmord. Man sieht es den Menschen einfach nicht an!«
    Thomas stand auf und ging zum Fenster. Die Frontseite des Krankenhauses lag fast vollständig im Blickfeld. Dort unten im Schneetreiben versuchte jemand, mit einer Schneekehrmaschine die Zugangswege frei zu halten.
    Ein schwaches Lächeln deutete sich in Thomas’ Gesicht an, als er sich den unverwüstlichen Hausmeister vorstellte, auf dem Fahrzeug sitzend – wie Don Quijote auf seinem Ross.
    Leicht berührte seine Nasenspitze die kalte Scheibe. Tatsächlich. Das grelle Licht war aus. Da war wirklich kein blendendes Flutlicht mehr im Eingangsbereich. Der Hausmeister musste es also geschafft haben. Er hatte dem Teufelswerk, wie er es genannt hatte, den Garaus gemacht.
    Plötzlich fiel Thomas der Streifenwagen auf, der nicht weit entfernt von seinem Jeep geparkt war. Er konnte noch nicht lange dort stehen. Die Karosserie war nur leicht mit Schnee bedeckt.
    »Selbstmord? Entschuldigung … was haben Sie eben mit Selbstmord gemeint?« Thomas wandte sich der Schwester zu.
    »Ja, ich kann es immer noch nicht glauben. Ich will es nicht glauben! Eine menschliche Tragödie!« Sie hob ihren Kopf, starrte Thomas an. Der wartete kurz ab, streifte mit seinen Augen ihr Namensschild, nickte und erwiderte betroffen: »Ja … das ist es immer!«
    »Wenigstens hat er nicht andere unmittelbar mit reingezogen. Ich verachte diese Selbstmörder, die sich vor einen Zug werfen oder vor
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