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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
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sah auf ihre Notizen, „ja, Sie sind noch genau sieben Tage Detective der Homicide Squad Queensland. Und dann“, ihr Lächeln wurde intensiver, er konnte ihren Anblick kaum noch ertragen. Er zwang sich, den Blick nicht abzuwenden. Nein, diesen Triumph wollte er ihr nicht auch noch gönnen. Er wollte mit offenen Augen sterben.
    „Und dann“, fuhr sie fort, „sind Sie Pensionär. Frührentner, ist das richtig?“
    „Ja, das ist richtig.“ Er hatte versucht, so emotionslos wie möglich zu antworten. Er hoffte, es war ihm einigermaßen gelungen.
    Ihr zufriedenes Nicken, ihr triumphales Läche ln - dann Schluss.
    „Danke, Detective. Keine weiteren Fragen.“
    Auch der Staatsanwalt hatte keine weiteren Fragen, und Shane durfte den Zeugenstand verlassen. Als Shane heute Morgen in Darwin angekommen war, hatte ihn der Staatsanwalt auf die Anwältin vorbereitet. Er hatte nicht untertrieben.
    Geschlagen aber irgendwie e rleichtert stieß Shane die schwere Holztür des Gerichtssaals auf und atmete durch als sie sich hinter ihm schloss, und er im großen, lichtdurchfluteten Foyer stand.
    Oft hatte er in seinem Berufsleben vor Gericht aussagen müssen, und er hasste es noch genauso wie am Anfang. Nicht selten musste man sich von arroganten Anwälten wie der letzte Dreck behandeln lassen. Doch das war sein vorletzter oder vielleicht letzter Auftritt gewesen. Morgen würde er zurück nach Brisbane fliegen, und in einer Woche wäre er kein Detective mehr. Dann konnten sie ihn alle mal.

4
    Auf den Sitzgruppen vor der holzgetäfelten, breiten Tür des Gerichtssaals hockten zusammengesunken zwei Aborigines und schliefen. Die Präsenz der Aborigines im Stadtbild Darwins war deutlich stärker als in Brisbane, das fiel Shane jedes Mal auf, wenn er nach Darwin kam. Inzwischen beanspruchten die Aborigines 90 Prozent des gesamten Northern Territory als ihr Land. Hier oben hatte die Landrechtsbewegung in den sechziger Jahren ihren Anfang genommen, hier oben versuchten Aborigines, in abgelegenen Gebieten von Arnhemland ihren eigenen Weg zu gehen. Kein Wunder, dass Darwin und das Northern Territory einen Touristenmagnet für all die zivilisationsmüden Europäer und Amerikaner darstellte, die die romantische Vorstellung von der Existenz des „edlen Wilden“ mit verzweifeltem Trotz verteidigten.
    Shane stützte sich auf das Geländer, das den Durchbruch vom ersten Stock zur Eingangshalle umgab, und betrachtete das Fußbodenmosaik dort unten. Die Milchstraße – aus Tausenden von Keramiksteinchen in verschiedenen Blau- und Grautönen zusammengesetzt. Man hätte den Supreme-Court durchaus für ein Museum halten können: überall waren Kunstwerke auf diesen riesigen, von keinen Säulen verstellten Etagen platziert, an den Stirnseiten gaben große Glasflächen den Blick auf Palmen frei, auf die türkisblaue Arafura-Sea und auf den tropischen Himmel.
    Er war am Morgen durch die Lobby spaziert und hatte sich die Kunstwerke angesehen. Die Totenpfähle der Aborigines von Tiwi-Island, einer Insel, die nur fünfzehn Minuten Flugzeit von Darwin entfernt lag; die großformatigen Dot-Paintings der Tribes aus den Wüstengebieten; die filigranen Abbildungen auf Rindenstücken aus der Region von Arnhem-Land, einige Bilder, die an den bekannten Maler Albert Namatjira erinnerten, des Aborigines, der ins Gefängnis bekommen war, weil er Alkohol gekauft hatte, der angeblich zu einem Totschlag geführt hatte. Namatjira war kurz nach seiner Gefängnisstrafe gestorben. Waren die Bilder hier ein Mahnmal? Die Kunst hier eine Art Wiedergutmachung für all die Grausamkeiten, die die Weißen den Ureinwohnern angetan hatten? Oder fehlte es ganz einfach an einer eigenen Identität? Worauf hätten sich auch all die Griechen und Chinesen einigen sollen, die im 19. und 20. Jahrhundert hier eingetroffen waren, um nach Gold zu suchen, nach Perlen zu tauchen oder Handel zu treiben?
    Ein Sheriff, ein bulliger Typ mit rötlicher Haut und Borstenhaarschnitt, dessen hellblaues Hemd über seinem Bizeps spannte, hielt einen Pappbecher unter den Trinkwasserbrunnen an der Wand zwischen den Türen zweier Gerichtssäle.
    Shane sah auf die Armbanduhr. Kurz nach halb zwölf. Was für eine Zeitverschwendung, hier in Darwin zu sein – fünf Stunden Flugzeit von Brisbane entfernt. Und das alles nur, weil ihn vor Monaten die Jagd nach dem Mörder wenige Kilometer hinter die Grenze Queenslands ins Northern Territory geführt hatte. Er hatte die zuständige Polizei benachrichtigt, doch
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