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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Autoren: Peter Temple
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nicht warten. Mitten in Wind und Regen klappte ich die Riegel zur Seite und öffnete den Koffer.
    Lyall in der Küchentür. »Was?«, fragte sie.
    Ein Gegenstand war in dem Koffer. Eine graue, DIN A4-Dokumentenschachtel mit einem Federverschluss.
    Ich konnte nicht gleichzeitig den Koffer halten und die Schachtel aufmachen. Lyall kam in drei Schritten zu mir, nahm die Schachtel aus dem Koffer und öffnete sie.
    Ich stieß den Atem aus und sagte: »Mein Gott, endlich hat auch mal ein Irish Glück.«
    Ein heftige Bewegung am Rand meines Gesichtsfeldes, ein Schlag gegen meine Brust, meine Schulter, nicht schmerzhaft, ein Schubs, ein kräftiger Stoß, ich spürte, wie ich zurückgeworfen wurde, drehte mich um und sah einen Mann an der Hausecke, einen Mann in Schwarz, in den vorgestreckten Händen ein matt glänzendes Rohr, das auf mich zeigte. Bellen, das Bellen eines alten Hundes, eines grauschnäuzigen Hundes, ein Alibi-Bellen, zugleich mit einem Aufblitzen, dann noch ein Bellen, noch ein Aufblitzen.
    Ich fiel, taumelte. Nein, ich wollte nicht fallen, ich würde nicht fallen, fing mich, fiel nicht, richtete mich wieder auf, den Koffer in der linken Hand, streckte die rechte Hand aus.
    Ich musste Lyall aus der Schusslinie schaffen, sie wegstoßen.
    Meine Hand berührte sie, drängte, ich sah, wie sie nach hinten stolperte, weg von mir.
    Ich blickte zu dem Mann in Schwarz hinüber.
    Jetzt im Licht, das aus der Küche kam.
    Ich kannte ihn. Der müde Mann von der Bundesregierung, der mich bei Taub's besucht hatte, zusammen mit der Frau mit den glänzenden, perfekten Zähnen. Blondes Haar, Seitenscheitel, spitz zulaufender Haaransatz, Grau an den Schläfen. Ein schwuler Priester der United Church.
    Jack, ein kleiner Rat unter Freunden. Es dürfte Ihnen kaum gefallen, in irgendwas verwickelt zu werden, das mit Dean Canetti zu tun hat. Das könnte bestenfalls in tiefer Beschämung enden. Es könnte aber auch viel, viel schlim mer kommen.
    Er hatte recht gehabt. Es war viel, viel schlimmer gekommen.
    Der verfluchte Hund. Einer von diesen mörderischen Mistkerlen … Ihre Freunde umbringen, Ihre Frau töten, Ihr Kind töten, Sie töten, ganz gleich … Plötzlich erfüllte mich kalte Wut. Er würde hier niemanden töten, nicht hier, der Mistkerl, nicht heute, ich konnte es nicht ertragen, noch jemanden zu verlieren, keinen einzigen Menschen mehr, ich hatte schon zu viele verloren, nicht einen, nicht einen einzigen mehr …
    Er zielte mit dem Rohr auf mich, lächelte, kein UnitedChurch-Lächeln, kein verständnisvolles und mitfühlendes Lächeln mehr, eher das Lächeln von jemandem, der jemanden bei einem logischen Fehler ertappt hat und sich am Unbehagen des anderen weidet.
    Der verfluchte Hund. Wird mir niemanden wegnehmen, wird mich niemandem wegnehmen, nicht hier, nicht heute Nacht …
    Mein linker Arm schwang herum, ohne dass ich darüber nachdachte, warf ich den Aluminiumkoffer nach ihm, sah den Koffer in der Luft mit offenem Deckel, sah den Mann, wie er seine linke Hand von dem Rohr nahm, sie hochriss, um den Koffer abzuwehren. Ich rannte auf ihn zu, überwand in großen Sätzen den Abstand zwischen uns, erreichte ihn unmittelbar nach dem Koffer, packte die Waffe mit beiden Händen, spürte die Hitze des Schalldämpfers. Lautes Bellen direkt in mein Gesicht, brennende Luft an meiner Wange. Ich versuchte, ihm die Waffe aus der Hand zu winden, scheiterte, nahm eine Hand weg, versuchte, ihn zu schlagen, wischte durch sein Gesicht, verfehlte ihn, versuchte noch einmal, spürte den Aufprall, sah den Gewehrkolben kommen …
    Eine Lichtexplosion in meinen Augen, Schmerzen in meinem Kopf, ich fiel zur Seite, versuchte, mich an ihm festzuhalten, sein Gesicht tauchte wieder auf, sein sanftes Priestergesicht, graue Augen …
    Ein graues Auge war weg, es war ein Loch da, wo vorher ein Auge gewesen war, ein dunkles Loch, warme Flüssigkeit auf meinen Lippen, der Mann kippte von mir weg nach hinten.
    Ich stand auf, überrascht, dass ich aufstehen konnte. Ich stand.
    Last Man Standing. Schon wieder.
    Nein.
    Noch ein anderer stand da. Im Schatten des Hauses, nicht weit entfernt, die Waffe in der Hand, die Waffe, die das graue Auge des Mannes ausgelöscht hatte, die Waffe, die immer noch auf ihn gerichtet war.
    Lyall war am Boden, rappelte sich gerade auf. Ich ging zu ihr hinüber, nicht gerade ein sicherer Gang, streckte ihr eine Hand hin, zog sie hoch, wobei ich kaum Kraft dazu hatte. Sie stand auf, kam zu mir, legte ihren Kopf an meine
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