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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Autoren: Peter Temple
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Nachmittag über den Campus der Universität. Ein nasser Wind zerrte an Haaren und Kleidern der Passanten, sie hielten das Kinn gesenkt, Bücher und Ordner und Taschen an die Brust gepresst.
    Dieses Mal musste ich nicht über Lyalls Mauer klettern. Sie erwartete mich am Tor. Drinnen setzte ich mich an den Küchentisch und starrte die Wand an, während leise Panik in mir aufstieg. Nach einer Weile sagte ich: »Ich hätte das schon eher sagen sollen. Es sind Leute hinter mir her, die versuchen, mich umzubringen.«
    Lyall stand am Kühlschrank und holte gerade Kaffee heraus. Sie drehte sich nicht um. »Eine ganz alltägliche Situation für einen Vorstadtanwalt, würdest du das so sagen?«
    »Nein, würde ich nicht. Ich sollte jetzt besser gehen. Ich hätte nicht mit zurückkommen sollen. Ohne Stuarts Video fühle ich mich ein bisschen verwundbar. Außerdem will ich dich nicht auch noch da mit reinziehen.«
    Sie kam zu mir und strich mit den Fingern durch mein Haar. »Was ist mit der Polizei?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ein paar von diesen Leuten sind die Polizei.«
    Lyall setzte sich mir gegenüber. »Du denkst, Stuart ist nach seinem Interview hierher zurückgekommen, hat es von dem Video abgeschrieben und die Videos dann kopieren lassen?«
    »Ja. Wenn auch nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.«
    »Und ist dann wo ermordet worden?«
    »Nun, ich wollte es ja nicht sagen, aber am wahrscheinlichsten hier. Dann ist das Haus durchsucht worden. Deshalb ist sein Arbeitszimmer in den Genuss eines zweiten Großreinemachens innerhalb von wenigen Monaten gekommen.«
    »Also haben die wahrscheinlich die Videobänder gefunden.«
    »Wahrscheinlich. Das Schließfach war eine echte Hoffnung.«
    »Aber wenn er Kopien hat machen lassen, dann hätte er doch Originale und Kopien nicht zusammen aufbewahrt. Nicht, wenn er sich darum Sorgen gemacht hat. Ein Exemplar muss noch irgendwo hier sein.«
    Wir saßen eine ganze Weile schweigend da, Lyall mit den Ellbogen auf dem Tisch, das Kinn in die Handflächen gestützt. Der Tag ging in die Nacht über, kein Licht brannte im Haus, Dämmerung sammelte sich in der Küche.
    Sie stand auf, schaltete das Licht an, trat ans Fenster. »Ich versuche, mich an die Tage zu erinnern, nachdem Stuarts Schwester angerufen und gesagt hat, dass sie sich Sorgen macht, und was Bradley und mir da aufgefallen ist. Alles, was mir einfällt, ist, dass Bradley gesagt hat: ›Stuart ist ohne sein Reserve rumgefahren. Das ist wirklich dumm.‹«
    »Sein Reserve?«
    »Sein Reserverad.«
    Bei meiner ersten Inspektion von Stuarts Wagen, in der Garage, hatte ich die Räder an der hinteren Wand lehnen sehen.
    Fünf Räder.
    »Also hat Bradley das Ersatzrad nicht rausgenommen, als er den Wagen aufgebockt hat?«
    »Ein Mann kam und hat das gemacht. Aber deshalb ist Bradley darauf gekommen. Stuart war ohne sein Reserverad durch die Gegend gefahren. Er muss es rausgenommen haben.«
    Ich konnte einen Knoten im Magen fühlen.
    »Vielleicht schau ich mal nach«, sagte ich.
    Lyall fand die Autoschlüssel.
    Ich ging zur Garage hinaus. Es war jetzt ganz dunkel, Wind und Regen dämpften den Verkehrslärm von der Royal Parade. Kein Licht. Ich tastete mich zu Stuarts Wagen vor, fuhr mit der Hand an der rauen, unverputzten Backsteinmauer entlang, fand die rechten Rücklichter des BMW s, das Schloss zum Kofferraum.
    Der Zündschlüssel öffnete den Kofferraum. Ich wusste noch, dass der Deckel nicht automatisch hochkam, dass man mit den Fingern unter das Nummernschild fahren und ihn anheben musste.
    Wie zuvor leistete er erst etwas Widerstand und kam dann plötzlich hoch.
    Der starke Geruch nach ausgelaufener Bremsflüssigkeit.
    Ich strich mit den Händen über den Boden des Kofferraums, eine schwere Kunststoffdecke.
    In der Mitte eine Mulde.
    Der Platz für das Reserverad.
    In der Mulde lag etwas.
    Ich drückte. Es gab nicht nach.
    Ich tastete nach den Ecken der Abdeckung. An jeder Seite waren Halteclips. Sechs Halteclips. Ich drehte sie alle waagerecht und griff die Abdeckung an jeder Seite mit einer Hand.
    Sie kam hoch.
    Ich legte meine rechte Hand darunter, in die große Mulde, fand den Gegenstand.
    Fand einen Griff. Zog ihn heraus.
    Es war zu dunkel, um irgendetwas zu sehen. Ich ließ den Kofferraum wie er war und stürzte nach draußen.
    Die Lampen in der Küche legten einen breiten weißen Teppich über den Hinterhof.
    Ich trug einen kleinen Aluminiumkoffer, einen abgewetzten Koffer mit eingebeulten Ecken.
    Ich konnte
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