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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
Autoren: Anna Tarneke
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…«, wiederholte er noch einmal stöhnend, und ich konnte verstehen, warum er das nicht wollte.
    Das Leben von Boris R. wurde gerettet. Von nun an würde er mit einem künstlichen Darmausgang durchs Leben gehen müssen.
    Ob seine Ehe das ganze Drama überlebt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Bevor Boris R. in den OP geschoben wurde, fragte er mich noch, ob ich die Ausrede mit der Bordsteinkante wenigstens einigermaßen glaubhaft fand, ob seine Frau das wohl so schlucken würde, oder ob er noch ein paar Glasscherben in seine Geschichte einbauen sollte.
    Als ich den Kopf schüttelte und ratlos mit den Achseln zuckte, murmelte er noch, seine Frau würde ihm den A*** aufreißen, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Dann schlummerte er unter der Narkose weg, und ich dachte nur, dass das ja nicht mehr nötig war.
    ***
    Anders verhielt es sich mit Romina G. Sie war nicht Opfer ihrer Experimentierfreudigkeit, sondern ihrer Lebensumstände geworden. Und obwohl mich die Härte ihres Alltags wirklich berührte, hinterließ mich ihr Pragmatismus etwas fassungslos.
    Die achte Etage unseres Krankenhauses stand eine ganze Weile leer. Eigentlich sollte sie renoviert werden, aber wie so häufig fehlte das Geld an allen Ecken und Enden. So zog sich der Umbau endlos in die Länge und störte einige Patienten.
    Romina G. zählte nicht dazu.
    In einer eisigen Dezembernacht war sie mit dem Bus bis zum Krankenhaus gefahren und stand nun in hautengen, glänzenden Leggings und pinken Stöckelschuhen vor der Notaufnahme. Trotz des schrillen Make-ups konnte ich sehen, dass ihre Lippen vor Kälte blau waren, was angesichts ihrer durchsichtigen Bluse kein Wunder war. Die junge Frau tat mir auf Anhieb leid, ihren Beruf machte sie sicher nicht aus Liebe.
    Durch ihre hautengen Leggings konnte man sofort die nässende Wunde sehen, die sich Romina G. in ihrem Metier zugezogen hatte. Eiter und blutiges Wundwasser drangen durch den synthetischen Stoff und ließen auf eine heftige Infektion in der Leistengegend schließen.
    Â»Das wurd immer schlimmer«, erklärte mir Frau G. auf meine Nachfragen. »Irgendein Freier hat mir das angeschleppt. Zuerst war es nur ’n bisschen entzündet, aber mit jedem Kunden hat sich das vergrößert. Heut Nacht hab ich es dann nicht mehr ausgehalten.«
    Ich nickte verständnisvoll. Als ich ihr vorsichtig aus ihren Leggings half, war ich bestürzt. Wie konnte sie mit so einer Wunde weiter anschaffen gehen? Unter was für einem Druck musste die arme Frau stehen?
    Eine offene, handtellergroße Infektion breitete sich in ihrer unteren Leistengegend aus. Sie war fast komplett mit Eiter bedeckt und musste extrem schmerzhaft sein.
    Â»Wenn du drauf bist, merkste die Schmerzen nicht so«, meinte Romina G. achselzuckend.
    Einen echten Junkie kann so eine Infektion wohl nicht aus den Schuhen hauen.
    Â»Ich werde Ihre Wunde jetzt reinigen und desinfizieren. Dann bekommen Sie eine Antibiotika-Infusion und bleiben die Nacht hier.«
    Â»Die ganze Nacht?«, fragte Romina G. entsetzt.
    Â»Und vielleicht noch ein paar Nächte mehr«, gab ich zur Antwort. »Mit solchen Infektionen ist nicht zu spaßen. Bis das Antibiotikum anschlägt, müssen Sie hierbleiben.«
    Romina G. maulte ein wenig. Nachdem ich ihre Wunden versorgt hatte, ließ sie sich aber mit einer Antibiotika-Infusion aufs Zimmer bringen.
    Fünf Stunden später, es war inzwischen circa vier Uhr morgens, rief mich meine besorgte Kollegin Schwester Susi an. Romina G. war spurlos aus ihrem Zimmer verschwunden, und Susi wollte wissen, ob sie wieder bei mir war.
    Â»Nein«, antwortete ich. »Sie ist hier nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht ist sie doch gegangen?«
    Â»Aber ihre Sachen sind noch hier«, sagte Susi. »Und ihre Infusion muss sie eigentlich auch noch tragen, jedenfalls ist die hier nicht zu sehen. Sieht nicht so aus, als hätte sie das Krankenhaus verlassen. Meinst du …?«
    Â»â€¦ sie setzt sich gerade irgendwo einen Schuss?«, beendete ich ihren Satz.
    Bei drogenabhängigen Patienten bestand grundsätzlich die Gefahr, dass sie Stoff ins Krankenhaus schmuggelten, den sie sich dann auf irgendeiner Besuchertoilette spritzten. Das galt es selbstverständlich zu verhindern. Zum einen musste die Gesundheit des Patienten geschützt werden, zum anderen war es für den Ruf eines Krankenhauses nicht gerade förderlich, wenn
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