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Splitternest

Titel: Splitternest
Autoren: Markolf Hoffmann
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die Quelle nicht beherrschen, geschweige denn verschließen!«
    Der Ritter ließ die Hand sinken. »Gubyr ist ein Zauberer. Er stammt aus Candacar und gehörte dort der Solcata-Loge an. Er hat uns dieses Geheimnis schon vor Tagen anvertraut.«
    »Und wenn schon! Auf Zauberer ist ebenso wenig Verlass wie auf Priester. Sie versprachen uns die Rettung durch Tathril und seinen Auserkorenen. Doch einen Auserkorenen haben wir auf Aroc nie gesehen. Es gibt ihn nicht!« Der Bootsmeister rang mit den Händen. »Uns bleibt nur die Flucht!«
    Tenmor Imris stieß ein bitteres Lachen aus. »Ihr wollt die Stadt räumen? Es würde Stunden dauern, bis unsere Schiffe seetauglich sind. Wenn wir dann die Bucht heraufsegeln, fahren wir den Goldéi entgegen und werden an der Mündung von ihnen zerquetscht. Abgesehen davon haben wir nur wenige Schiffe … wir müssten Unzählige zurücklassen.«
    »Ich sagte nichts von Schiffen, Tenmor! Dafür ist es zu spät. Wir hätten vor Tagen mit dem Abzug beginnen sollen … die Priester haben es verhindert. Aber uns bleibt noch der Landweg.« Der Bootsmeister wies auf die Eisebene, die hinter dem Kreidefelsen begann. »Der Pfad des Schweigens führt nach Golmen an der Südküste. Die Goldéi müssten die gesamte Insel umrunden, wenn sie uns finden wollen. In Golmen liegen mehrere Schiffe vor Anker, die uns zum Festland bringen können.« Aus seinen Worten sprach der Mut der Verzweiflung.
    »Ihr seid nicht bei Sinnen!« rief Tenmor. »Wir wären mehrere Tage in klirrender Kälte unterwegs, auf schneeverwehten Pfaden und Eisebenen, verfolgt von den Echsen. Wie viele Menschen kämen wohl lebend in Golmen an? Wie viele würden erfrieren, verhungern, von Eisstürmen zerschmettert werden?«
    »Vielleicht werden viele sterben«, gab der Bootsmeister zu, »aber viele würden auch überleben. Wir müssen es wagen!«
    »Auch auf dem Festland rücken die Goldéi vor«, rief ihm Tenmor in Erinnerung. »Aus den letzten Berichten geht hervor, dass die Stadt Praa gefallen ist. Die Goldéi dringen über den Nebelriß nach Palidon und werden bald Thax und Varona erreichen. Wir wären Flüchtlinge in einem Land, das selbst dem Untergang geweiht ist. Nein, lasst uns hier bleiben. Aroc ist abgelegen, und ist erst die Quelle besänftigt, können uns die Goldéi nichts mehr anhaben.«
    »Wir wären Gefangene in einem eisigen Grab«, prophezeite der Bootsmeister. »So wie Suul …«
    Das dritte Ratsmitglied, der Küstenwächter der Seefahrer, meldete sich zu Wort. »Es gibt einen dritten Weg. Der König von Kathyga hat ihn gewählt. Er unterwarf sich den Echsen.«
    »Niemals«, zischte Tenmor. »Nicht, solange die Familie Imer etwas zu sagen hat. Habt Ihr nicht gehört, was aus Kathyga geworden ist? Die Quellen wurden befreit, die Natur ist entfesselt, der Arkwald wuchert bis in den Norden und tötet alle, die ihn betreten. Dort ist kein Leben mehr möglich. Wenn wir uns den Goldéi ergeben, ergeht es uns ähnlich.«
    Ihre Blicke kehrten zur Stadt zurück. Unruhe herrschte auf den Straßen; die Bewohner hatten die Häuser verlassen, aus Angst vor dem nahenden Feind … und vor dem Sturm, der sich mit dunklen Wolken ankündigte. Die Stadtgarde versuchte die Fliehenden vom Hafen fernzuhalten.
    »Was ist dort unten los?«
    Auf dem Wasser der Bucht waren zahlreiche dunkle Punkte zu erkennen. Sie bewegten sich auf die Stadt zu. Es waren Boote, Dutzende kleiner Boote, die den Hafen von Imris ansteuerten.
    »Die Frondörfer!« Tenmor Imer ballte die Fäuste. »Die Frondörfer erheben sich! Es hat sich herumgesprochen, dass die Goldéi kommen. Sie wollen sich nach Imris retten.«
    »Das gibt Blutvergießen«, murmelte der Küstenwächter. »Das Lumpenpack wird die Stunde nutzen, um sich an uns zu rächen.«
    »Dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Wir müssen eine Entscheidung fällen. Flucht oder feige Erniedrigung … oder der Griff zum Schwert. Ich sage Euch, lasst uns die Goldéi mit blanker Klinge empfangen. Unsere Lage ist schlecht, aber nicht aussichtslos. Wir können sie besiegen. Man sagt, dass sie ohne ihren Anführer, ihren Scaduif, machtlos sind. Drei dieser Wesen soll es geben, und stets führt einer von ihnen die Heerzüge an. Wenn wir ihn töten …«
    Tenmor versagte die Stimme. Der feine Dunst, der den Kreidefelsen umweht harte, hatte sich aufgelöst. Zugleich veränderte sich das Plätschern des Quellwassers. Es klang dumpfer als zuvor.
    Die Ratsmitglieder wandten sich zum Steinbecken um.
    Und dann sahen sie
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