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Splitternest

Titel: Splitternest
Autoren: Markolf Hoffmann
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Becken. In ihm, so hieß es, sammelten sich Suuls Tränen, seinem kalten Grab entsprungen, um die Menschen an seinen Tod zu gemahnen.
    »Musstet ihr sie unbedingt töten? Zwei zerkochte Priesterleichen an diesem heiligen Ort … ein unschönes Bild.«
    Aus dem Dampf, der den Felsen umwehte, lösten sich Gestalten. Ihre Pelzmäntel wirkten edel, die silbernen Knöpfe verrieten ihre hohe Stellung. Sie waren die Angehörigen des Rats der Neun Pforten: der Bootsmeister der Fischer, der Küstenwächter der Seefahrer und der Münzherr der Kaufleute. Ihnen folgten zwei Ritter; barsche Gesichter, die Blicke voller Misstrauen, ihre Körperhaltung angespannt. Von den Handschuhen troff Blut.
    »Es waren die einzigen, die sich gewehrt haben«, sagte einer von ihnen. »Im Tempel gab es kein Blutvergießen. Dort haben sich alle ihrem Schicksal ergeben.«
    Der Bootsmeister der Fischer warf einen zweifelnden Blick auf die Leichen. »Dieser Aufstand ist töricht. Er wird für Unruhe sorgen, und dies in der Stunde der Not. Wir müssen zusammenhalten gegen den Feind; wir brauchen die Priester.«
    »Das glaube ich kaum. Es war höchste Zeit, dieses Pack in die Schranken zu weisen.« Der Münzherr der Kaufleute trat voran. Er war der mächtigste Vertreter des Rats; seit jeher hatte die Familie Imer das hohe Amt inne. Tenmor Imer war der jüngere Bruder des ermordeten Fürsten, Münzherr seit vielen Jahren und bekannt für seine Weitsicht. Nach Fürst Stanthimors Tod hatte er sich auf keinen Konflikt mit Kaiser und Kirche eingelassen. Doch nun war die Stunde der Rache gekommen. »Tathrils Anhänger haben uns fast ins Verderben geführt. Es ist nur gerecht, wenn sie für ihre Verbrechen bezahlen – für den Mord an meinem Bruder und für ihre Untätigkeit gegenüber den Goldéi.«
    Der Bootsmeister schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei – ein törichter Aufstand. Wer hat ihn befohlen?«
    Der Ritter zögerte. »Gubyr, einer der unseren. Er fällte den Entschluss, die Priester zu entmachten.«
    »So? Und wie sollen wir uns ohne ihre Hilfe zur Wehr setzen, ohne die Magie der Quelle? Wollt ihr die Echsen allein mit euren Klingen ins Meer zurückwerfen?« Die Stimme des Bootsmeisters zitterte.
    »Die Priester haben keine Macht mehr über die Quelle«, antwortete Tenmor Imer anstelle der Ritter. »Überall auf Gharax haben die Zauberer versagt, ob sie nun der Kirche oder den Logen angehören. Die Quellen gehorchen ihnen nicht mehr.«
    Er blickte auf Imris herab; gedrungene Steinhäuser mit spitzen Dächern, gewundene Straßen und Hohlwege, der Hafen mit seinen kegelförmigen Speichertürmen und dem gemauerten Schiffsbecken. Wie ein Halbmond lag die Stadt am Ende der Bucht, die sich gleich einem Keil in die Insel schnitt; ein schmaler Wasserweg, der die Stadt mit dem Ostmeer verband. An den Ufern der Bucht lagen die Frondörfer: schmutzige Weiler, in denen Reusenfischer, Netzknüpfer und Scherenschleifer hausten, die Ärmsten der Armen. Voller Neid blickten sie auf Imris, denn nur dort sprudelten heiße Quellen aus dem Erdboden und boten Schutz vor der Kälte. Die Frondörfer lagen hingegen im Schatten zweier Gebirge: Suuls Nacken zur Linken, Suuls Schulter zur Rechten. Immer wieder jagten eisige Winde und Lawinen, Eisbrocken und Hagelschauer aus den Bergen auf die Dörfer hinab. Sie wurden nicht von den magischen Pforten geschützt, die Imris’ Grenzen markierten: zehn Eissäulen, zwei in der Bucht, acht verteilt um die Stadt. Sie bündelten die Kraft der Quelle und bildeten die Neun Pforten. Angeblich hatte Durta Slargin selbst sie aus Suuls Leichnam geformt und aufgestellt, um die Klaue des Winters zu zähmen.
    »In wenigen Stunden werden die Schiffe der Goldéi die Bucht erreichen«, sagte Tenmor. »Aber noch sind wir nicht verloren. Die Echsen haben viele Städte erobert, doch an Imris werden sie scheitern. In der schmalen Bucht können wir jedes ihrer Schiffe einzeln angreifen, und der Hafen lässt sich gut verteidigen.«
    »Das haben die Einwohner von Kyrion und Harsas auch gedacht«, schnaubte der Bootsmeister. »Ihre Heere wurden vernichtet. Diesen Kreaturen können wir nicht standhalten, wenn uns die Klaue des Winters feindlich gesinnt ist.«
    »Der Klaue ziehen wir ihre Krallen«, sagte einer der Ritter. Er wies auf den linken Gebirgszug. »Gubyr erklimmt in dieser Stunde Suuls Nacken. Er wird die Quelle verschließen.«
    »Wie soll ihm das gelingen?« höhnte der Bootsmeister. »Euer Gubyr ist kein Zauberer, oder doch? Er kann
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