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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss
Autoren: Alina Bronsky
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verteidigen. »Wenn alles, was man so aufschnappt, wahr wäre… Das geht doch auch einfach nicht. Vieles widerspricht sich schlicht.«
    »Stimmt«, sagt Kojote.
    »Also, wie trennst du die Spreu vom Weizen?«
    »Geht von allein.« Plötzlich lächelt er und seine verschwitzte Stirn glättet sich dabei. »Bei manchen Erzählungen spürt man, dass da was dahintersteckt. Ich habe dann das Gefühl, ich bin gemeint. Und es zieht irgendwo hier.« Er legt sich die Hand auf die Brust.
    »Du lässt dich von deinem Herzen leiten?«, frage ich spöttisch.
    »Nein«, sagt er. »Von Fachbüchern. Und er holt unter seiner Jacke ein Buch hervor, das mir so bekannt vorkommt, dass ich mir mit flacher Hand auf die Stirn schlage.
    »Ich bin so blöd«, stöhne ich. »Ich hatte stundenlang die Bücher über Pheen gewälzt. Aber dieses, das wichtigste, habe ich liegen lassen.«
    »Ich leihe es dir aus«, sagt Kojote. Sein Exemplar der gesammelten urbanen Horrorgeschichten über Pheen ist deutlich zerfledderter als das, was ich in der Bibliothek der Villa gesehen habe.
    Ich nehme es ihm aus der Hand und blättere es durch.
    Von der Phee, die ihren Nachbarn aufgefressen hat
    Von der Phee, die eines Nachts einen jungen Mann unter ein Auto lockte
    Von dem Mann, der plötzlich herausfand, dass nicht nur seine Frau, sondern auch seine Tochter Pheen sind. Er und sein kleiner Sohn wurden bei Vollmond umgebracht und ihr Blut ist in die Erde geflossen
    Von der Phee, die ihr Kind im Dementio kriegte und dem man die Flügel abgeschnitten hat
    »Wie lange hast du es schon?«, frage ich.
    Kojote lächelt. »Seit ich ganz klein bin. Ich habe es als Kind vorgelesen bekommen. Aber mir hat die Geschichte von dem geflügelten Mädchen keine Angst gemacht. Ich war fest überzeugt, dass ich sie eines Tages treffen werde.«
    »Du bist doch hoffentlich kein Romantiker?«, frage ich misstrauisch.
    »Um Gottes willen«, wehrt Kojote entsetzt ab.

Epilog
    Es war ganz leicht, in den Wald zurückzukommen. Ich habe herausgefunden, dass es ein einziger Gedanke ist, der alles umschalten kann. Das Einzige, was ich tun musste, war, mich zu konzentrieren. Ich bin in das Haus meiner Familie zurückgekehrt und diesmal habe ich nicht mehr das Gefühl, fehl am Platz zu sein.
    Wieder sitze ich im Haus, immer noch erschlagen von dem, was ich hinter mir habe. Die Stimmen der anderen hallen durch den Wald. Sie scheinen zu denken, dass ich gern allein bin, um mich zu erholen. Manchmal trifft es zu, manchmal allerdings fehlen sie mir schon, wenn ich sie nicht in meiner unmittelbaren Nähe habe.
    Ich beobachte meine Mutter beim Beerensammeln, Kochen und Kräutersortieren und frage mich, ob ich ihr immer ähnlicher werde. Ich frage sie nicht, warum ich das Gesicht des Anstaltsleiters habe. Ich zweifle inzwischen daran, dass es wirklich der Fall war. Vielleicht kam es mir einfach nur so vor, weil ich nicht mehr die Kontrolle über meine Sinne hatte. Ich frage sie nicht nach Ivans Vater. Wenn ich ein lebendiges Quadrum bin, ist meine Mutter ein wanderndes Geheimnis.
    Ich habe einen Vater, denke ich. Er hat vor mir gelebt und wird auch mich überdauern. Er hat mich bestraft und mir auch wieder verziehen. Er kann nicht anders, weil ich ein Teil von ihm bin. Es ist der Wald.
    Wenn mir alles gerade so egal ist, sage ich zu meiner Mutter, dass ich vielleicht doch eine Phee bin. Dann lacht sie und sagt, Nein, so etwas wie mich hat es noch nie gegeben.
    Die anderen Pheen sollen auch hier im Wald sein, aber meist sieht man sie nicht. Sie sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum Gesellschaft brauchen. Manchmal trinken sie Tee bei meiner Mutter und schauen zu, wie ich mit der Schlange spiele oder einen kleinen schwarzen Vogel, der ab und zu vorbeiflattert, aus der Hand füttere. Dann wird Zero eifersüchtig, aber ich kann es nicht jedem recht machen.
    Dass Kojote auch hier ist, scheint die anderen Pheen zu irritieren. Meine Mutter sagt, er gehöre eben zu mir. Ich widerspreche nicht. Und denke oft, so etwas wie ihn hat es auch noch nie gegeben.
    Der Wald ist groß genug, dass man sich nicht ins Gehege kommt. Nach dem Tee gehen die anderen Pheen wieder und wir bleiben wieder unter uns.
    Nur manchmal denke ich, dass der Wald auch zu eng werden kann. Jedenfalls scheint er das für das kleine Kind mit den Verbänden zu sein, das es sich zu seiner schlechten Gewohnheit gemacht, bei uns aufzutauchen. Inzwischen habe ich den Verdacht, dass es nicht wegen meiner Mutter und auch nicht
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