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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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wirken: die bücherstarrenden Regale an den Wänden, die
zwei Ölgemälde, die Landschaftsszenen aus der Eifel
darstellten und unschwer als Werke Fritz von Willes zu erkennen
waren, der alte, dicke Perserteppich, die seidenen
Fenstervorhänge mit stilisiertem Lilienmuster…
    »Es freut mich, dass Sie Zeit finden und so schnell kommen
konnten«, sagte Harder und holte mich damit in die Gegenwart
zurück. Er lächelte mich an.
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
Schließlich hatte ich immer Zeit, denn ein erfolgloser
Schriftsteller besitzt keinen Terminkalender. Die wichtigsten Termine
sind für ihn die monatliche Überweisung der Sozialhilfe und
des Wohngeldes, aber das brauchte ich dem Notar nicht auf die Nase zu
binden. Also schwieg ich und wartete ab, was Harder mir mitzuteilen
hatte.
    Endlich fuhr er fort: »Vielleicht haben Sie es sich schon
gedacht: Es geht um Ihren Onkel Jakob Weiler.«
    »Was ist mit ihm?« Plötzlich spürte ich
widerstrebende Gefühle in mir. Bisher hatte ich mir ausgemalt,
wie schön es wäre, sein Erbe zu sein, doch was war, wenn er
wirklich nicht mehr lebte? Er war schließlich mein letzter
Verwandter.
    »Es ist eine etwas merkwürdige und verwirrende
Angelegenheit«, sagte Harder, faltete die Hände und sah aus
dem Fenster. Eine Amsel saß in der Birke, deren dünne
Zweige bis an die Scheibe heranreichten, und zwitscherte lautstark.
Dann flog sie unvermittelt unter lautem Protestgeschnatter davon.
Irgendetwas hatte sie gestört. Eine Katze? »Wie Sie
vielleicht wissen, war ich so etwas wie ein Freund Ihres
Onkels.«
    Ein vager, von juristischer Vorsicht geprägter Ausdruck. Ich
konnte mir nicht vorstellen, dass Onkel Jakob echte Freunde gehabt
hatte. Eher »so etwas wie Freunde«. Seine Gemeinde wird ihn
mehr gefürchtet als geliebt haben. Seit seiner Pensionierung vor
ein paar Jahren muss sein Leben sehr einsam gewesen sein, schoss es
mir durch den Kopf. Paradoxerweise stellten sich bei mir
Schuldgefühle ein.
    Nach einer längeren Pause redete Harder weiter: »Ich war
sein Berater in juristischen Angelegenheiten.«
    »War?«, fragte ich vorsichtig.
    »Das Ganze ist auch für mich sehr verwirrend und
unverständlich«, sagte Harder. »Ich kannte Ihren Onkel
persönlich – wenn man ihn überhaupt kennen konnte,
denn Sie wissen ja, dass er eine recht verschlossene Person
war.«
    Ich nickte.
    »In der letzten Zeit hatte sich sein Verhalten
verändert. Ich bemerkte Züge an ihm, die mir vorher fremd
gewesen waren. Er wurde ängstlich und nervös; es war, als
lauere er auf etwas. Immer wieder sprang er auf und lief im Zimmer
umher, dann lauschte er, als erwarte er, von fern ein bestimmtes
Geräusch zu hören. So ging es eine Weile, ohne dass ich den
Grund für sein Verhalten herausfinden konnte. Und die Angst in
seinem Blick! Einmal habe ich es gewagt, ihn auf sein
merkwürdiges Verhalten anzusprechen, doch ich erhielt eine harte
Abfuhr. Und dann kam der Tag, an dem er mich anrief und mit einem
unerträglichen Flehen in der Stimme anbettelte, ich möge
sofort zu ihm kommen.« Harder sah mich an und schüttelte
den Kopf.
    »Was wollte er denn von Ihnen?«, fragte ich ungeduldig.
Ich saß wie auf einem glühenden Bratrost.
    »Das ist das Merkwürdigste an der ganzen Sache«,
meinte Harder. Er schaute noch immer in meine Richtung, aber jetzt
blickte er wie durch mich hindurch. »Er sagte, er wolle sein
Testament machen.«
    »Was ist daran merkwürdig?«, wollte ich wissen und
rutschte unruhig auf dem bequemen Ledersessel hin und her.
    »Streng genommen gar nichts«, gab der Notar zu.
»Aber das, was er mir sagte, während ich sein Testament
formulierte, ist dafür umso merkwürdiger. Das Testament
selbst war sehr einfach und bestand eigentlich nur aus einem einzigen
Satz. Als ich jedoch hörte, was Ihr Onkel vorhatte, musste ich
ihn darüber aufklären, dass ein Testament nicht die
richtige Form war. Ich habe natürlich mit allen Mitteln
versucht, ihn von seiner Entscheidung abzubringen, aber Sie selbst
wissen bestimmt noch besser als ich, wie halsstarrig er
war.«
    Wusste ich das? Was wusste ich schon?
    »Es war also unmöglich, ihn umzustimmen, und deshalb
habe ich ihm vorgeschlagen, Vollmachten auszustellen und mir zu
übergeben.«
    Ich hielt es nicht mehr aus. »Nun reden Sie doch nicht so
lange um den heißen Brei herum! Was ist denn
passiert?«
    »Ich verstehe Ihre Unruhe. Die Antwort ist: Ich weiß
selbst nicht genau, was passiert ist. Ihr Onkel hat mir an jenem
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