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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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Grabenrand aufgesetzt werden konnten.
    War es nicht Neckermann, der gegen Ende des Krieges den deutschen Soldaten endlich brauchbare Oberbekleidung schneiderte?
     
    Heute früh Dr. Dittrich von der Bibliothek in Hannover. Er nahm allerhand mit und brachte Material.
    Das Gespräch zog sich hin, ich saß ein bißchen auf Kohlen, denn ich erwartete den Techniker von Hamelberg, der mir den neuen Drucker erklären und vorführen wollte. Er kam zunächst nicht, ich machte einen Spaziergang und schlief im Sessel ein.
    Dann kam der Mann und scheiterte irgendwie an seiner eigenen Klugheit.
    Ich hatte also einen sehr konfusen Tag, von«Klausur»keine Rede.
    Für«Hörzu»die neue Lieferung fertiggemacht. Sie kommt den Herrschaften«zu hoch»vor, wollen’s gern primitiver haben.
     
    In Oldenburg und im TV wieder kitschige Schweigeminuten und Demonstrationen wegen dem Wüstenkrieg.
     
    Aufnahmen aus der Hagia Sophia. Möchte ich mir wohl gerne mal ansehen. Im Mittelalter ist sie irgendwann mal zusammengebrochen. Ein Buch über Kuppeln. Sie ist in diesem Falle hauchdünn, zusammengehalten wird sie durch enorme Stützpfeiler von außen. Deshalb gibt es innen einen riesigen freien Raum, der leider mit arabischen Schriftzeichen vollgehängt ist. – Ich habe noch keinen Türken in einer deutschen Kirche gesehen. Man müßte mal fragen, was sie sich bei dem Gekreuzigten vorstellen.

Nartum Do 17. Januar 1991
     
    Die«Mutter aller Schlachten»habe begonnen.
    Hussein will den Amerikanern«eine Lektion erteilen», wie in der Schule der Lehrer nach altem Modus?
    Es wird gesagt, die geflüchteten Kuwaitis säßen hier im Westen in teuren Restaurants und fräßen. Im Kampfanzug.
    Vogel:«Maßloses Entsetzen.»
    TV:«Ich danke Ihnen nach Stockholm.»
    «Wüstensturm». Sprecherin:«Wüstenfeld.»
    Die Sprecherinnen haben so einen sauren Ernst in der Stimme. So was kriegt ein Mann gar nicht hin. So was Vorwurfsvolles, als ob wir schuld sind. Fehlte noch, daß sie uns mit dem Finger drohten.
    Schöne Eigenschaft der Geduld, die noch nicht gewürdigt worden sei, hat eine Dichterin bei den Irakern konstatiert.
    Bremen, Zahnarzt. Er erzählte, daß die Lehrer in Bremen ihre Schüler zu den Anti-USA-Demonstrationen getrieben hätten, die Grundschüler in Reih und Glied antreten lassen und durch die Straßen geführt. Auch Kindergärten! Ob das der Schulrat genehmigt hat? Bremen …
    Plakate an Schulen. Sie wollen uns Bescheid sagen, aber wir wissen doch schon alles.
    An der Deutschen Bank die Fenster eingeworfen. So was bringt uns ja auch nicht weiter. Argumentatives Scheibeneinwerfen. Daß das überhaupt geht, ist das nicht Panzerglas?

Nartum Fr 18. Januar 1991
     
    1956: Gründung der NVA
    7 Uhr
    Der Presserummel der Medien entsprach dem Trommelbombardement der alliierten Flugzeuge und Raketen. Frevelhaft die Scherze mit den Gasmasken in Israel, ein Kabarett hat sich mit Sketchen darüber lustig gemacht. – Heute früh wurde ein alter, stoppelbärtiger Israeli beschrieben, der ins Leere geguckt habe. Er sei dem Nazi-Giftgas entronnen und werde nun womöglich doch noch von deutschem Giftgas getötet. Nun, das Giftgas haben nicht Deutsche geliefert, sondern Verbrecher. Die Raketen, mit denen es verschossen wird, stammen von den Russen, die sie von Staats wegen geliefert haben. Die irakischen Panzer und Flugzeuge stammen aus Frankreich. – Ob das auch immer alles bezahlt wird?
     
    Gestern ein Besuch beim Schreibmaschinen-Onkel, der mir eine neue Olivetti-Maschine anschnacken wollte. Er fand sich selbst nicht mit dem Ding zurecht. Die Weiterentwicklung meines braven Olivetti-Gerätes ist derartig kompliziert, daß man Wochen brauche, um es zu beherrschen, sagt er. Andere
    Firmen vereinfachen ihre Produkte, die Italiener machen das Gegenteil. Das Verrückteste ist, daß man den Drucker vor der Nase hat, den Bildschirm jedoch seitlich . Da kann man sich ja ausrechnen, wann man einen Bandscheibenschaden kriegt! Im Laden wollte man mir Disketten für 140,- die Packung andrehen! Der ganze Laden ist absolut überstylt, bis hin zur Teekanne des Personals. Alles in Grau, allerlei Bühnen für Käufer, die beraten werden sollen. Aber keine Käufer sind da. Einzelne alte und uralte Schreibmaschinen unter Glas auf grauen Holzsäulen. Ich denke, diese Firma wird Pleite machen. Wenn sie Pleite macht, wo soll ich dann meine Geräte warten lassen?
     
    2001: Hat sie bis heute nicht.
    2005: Immer noch nicht.
    2007: Blüht und gedeiht.
     
    Der Chef saß
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