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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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Tätowierungsnummern nicht aufgeführt hast. Es ist ja völlig sinnlos, die Tätowierungsnummern zu überliefern, außerdem liest das ja nie ein Mensch. – Eine Historikerin aus Hagen, die augenblicklich bei uns fotokopiert, meinte: Wieso? Warum nicht? – Sie wird nicht kapieren, weshalb wir sie hier nicht gebrauchen können. – Außerdem hält sie kritischen Abstand zum Klassenfeind.
    Ein Kind kriegt sie, das ist zu loben.
     
    Tippfehler in einem Beileidsschreiben:«Gottt», Gott also mit drei t. Als ob man drei Kreuze macht.
     
    «Echolot:»Bittel schickte Kulturveranstaltungsplan von München 8./9. 1. 1943. Es ist unglaublich, was damals noch alles los war. – Kurz darauf wurden dann ja auch prompt die ganzen Schauspieler eingezogen. Sogar Gustaf Gründgens, zur Flak, glaube ich.
     
    Ein faxloser Tag.
    Es kam ein Herr Dietz vom«Kurier»und interviewte mich. Ein lieber Mensch, dessen Gesellschaft mich sehr mitnahm, da er – wie hätte er das wissen können – dieselben Fragen stellte, die ich schon zwanzigmal beantwortet habe. Ich war völlig erledigt. – Netterweise brachte er mir einen Satz Fotos von Bargfeld mit. Störend war auch, daß sich der Fotograf ins Gespräch mischte. Auch blitzte er, daßes mir jedesmal in die Augen schlug, obwohl ich ihn bat, das nicht zu tun.
     
    Ein Fotograf aus Leipzig, der 1988 rübergekommen ist, zur Wiedervereinigung:
    Ich finde es ein bißchen schade, daß die, die das angeschoben haben, wieder die Verlierer sind, die ganz Aktiven, die sich getraut haben, was zu sagen. Die andern haben doch nur in den Löchern gesessen, und als alles klar war, kamen sie dann erst raus. Und dann hat die CDU das abkassiert. Das konnte den Leuten damals ja gar nicht rechts genug sein. DSU war bei uns in der Gegend von Leipzig 90%. – Es wäre interessant gewesen, wenn das Bündnis 90 sich durchgesetzt …, die Bohley, die hatten ja eine Konföderation vor. Die wollten auch Marktwirtschaft, aber nicht in ihrer ganzen Wucht, so wie das dann ja auch prompt gekommen ist. Mehr Öko. Jetzt denkt nur jeder an sich selbst. Ich find’ das nicht so schlimm, weil ich schon immer Individualist war, aber die da drüben empfinden das ganz schön schlimm. Keiner ist mehr für den andern da.
    Ein Journalist:
    Es gab ja keine Alternative dazu! Die Alternative wäre gewesen: weitermauscheln oder einen zweiten sozialistischen Aufguß machen. – Schade, daß die Wiedervereinigung nicht schon 1968 gekommen ist. Dann wär’ das jetzt schon 20 Jahre her, und alles wär’ verkittet und vernarbt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Leute
die alten Zustände wiederhaben möchten! In Dresden der Glanz! Rote Radfahrwege durch die ganze Stadt, kein Mensch kennt Dresden wieder, alles hell. Dieser Glanz! sagen die Dresdner, überall Straßenbeleuchtung und Straßen mit einem Geschäft neben dem andern.
     
    Beerdigung von Frau Schmidt, der Nachbarin. Hildegard meint, den Regen habe sie nicht verdient. – Wir haben es versäumt, sie vors Mikrofon zu holen und ihr Leben erzählen zu lassen. Zu spät!
     
    Der Journalist meinte, die Nartumer seien schlecht auf mich zu sprechen, weil ich nie zum Schützenfest gehe.
     
    In Bullocks Vergleichsbuch gelesen, Hitler und Stalin. Sehr flüssig, ja unterhaltsam geschrieben. Zeitweilig meinte ich, daß dieser Ton bei dem Thema unzulässig sei. Das«vorletzte»Foto, er schreitet die Reihe der Hitlerjungen ab, die er soeben mit EK 2 dekoriert hat. EK 2, das ist immer wie so eine Ersatzlösung gewesen, wie ein Trostpreis: Also, das war ganz gut, was du gemacht hast, aber so ganz das Wahre war es noch nicht. Hat mich immer gewundert, ja geärgert, wenn der U-Boot-Kommandant das Ritterkreuz bekam und seine Leute nur das EK. Unanständig! Die bärtigen Männer, wenn sie mit ihrem Boot einliefen, von Angst keine Spur mehr, Helden eben. Die Kommandanten durften dann nach Berlin fahren, die hatten dann da ein paar wilde Nächte. Ein Tontechniker hat mir mal erzählt, als er gemustert wurde, habe er auf die Frage, zu welcher Waffengattung er wolle, gesagt: Zu den Kraftfahrern. -«Wohl verrückt! »habe der Offizier gesagt und ihn zu den U-Booten gesteckt.
    Hitler an 14 Halbwüchsigen vorüberschreitend, den Mantelkragen hoch. Und dagegenzuhalten die Filmaufnahme vom Vorbeimarsch der Massen in Nürnberg. Das waren glücklichere Tage! Aber nicht für jeden.
    Ich hätte immer gern gewußt, wie sie das mit dem«Austreten»gemacht haben, wenn sie da auf dem Märzfeld vor Hitler
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