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Sommersturm

Sommersturm

Titel: Sommersturm
Autoren: Olaf Buettner
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gewesen, um die sie sich früher gekümmert habe wie um ihren Augapfel.
Für mich hatte sich das bedrohlich angehört und ziemlich fies, auch wenn ich es
nicht genau verstanden hatte.
    Langsam
beruhigte sich der Hühnerhaufen, eine seltsame Stille trat ein. Keiner traute
sich, den Faden wieder aufzunehmen. Die Frage „Wohin mit Julian?“ hing noch
immer wie eine Bedrohung in der Luft.
    Natürlich
hatte meine Attacke auf Onkel Manfred meinen Gegnern Recht gegeben: ich war
unzumutbar, gehörte in ein Heim.
    Nur
wer sollte die unangenehme Erkenntnis als Erstes aussprechen?  Die
Mehrheit schielte Hilfe suchend zu Martha hin, doch selbst ihr schien es
angesichts der Ungeheuerlichkeit der Umstände die Sprache verschlagen zu haben.
    Überdeutlich
spürte ich eine nervöse Unruhe, die sich im ganzen Zimmer ausbreitete und von
der ich nur allmählich begriff, dass sie von Betty ausging. Ihr rechter Fuß
wippte auf und ab. Auch ihr Gesicht wirkte angespannt.
    „Ich
habe lange nachgedacht“, sagte sie schließlich, für die anderen überraschend,
für mich nicht mehr. „Genau genommen, seit ich von Martha gehört habe, dass sie
in ihrem Haus keinen Platz mehr hat.“
    „Für
manch einen in der Tat ein gewaltiger Zeitraum“, warf  Manfred ein und
grinste ziemlich dreist. „Vor allem, wenn es um eine so anstrengende Tätigkeit
wie Denken geht.“ Er fand sich unglaublich witzig. Ich hatte ihn mir wohl noch
nicht genug vorgeknöpft.
    Betty
ließ sich nicht beirren: „Ihr, Manfred und Paula, habt ja sicher auch keine
Möglichkeit, oder?“
    „Ausgeschlossen!“
Selten war Manfred so entschieden. Er grinste jetzt nicht mehr.
    „Und
ihr anderen?“ Allgemeines Kopfschütteln. Verstohlen guckte einer zum anderen,
nur Betty blickte offen in die Runde. Auf was sollte das alles hier
hinauslaufen? „Julian kann bei mir einziehen“, sagte Betty, „wenn er will.“
    Genau
das hatte ich befürchtet. Betty sah mich an und lächelte vorsichtig. 
Fassungsloses Schweigen im Raum. Dann rieselten die ersten leisen Bemerkungen
in die Stille.
    Ich
starrte Betty an  wie das achte Weltwunder. Wie kam sie auf eine dermaßen
absurde Idee? Wir kannten uns kaum. Sie hatte mit meinen Eltern wenig Kontakt
gehabt, obwohl wir alle in derselben mittelgroßen Stadt an der Nordsee lebten.
Und für den kleinen Stinker, den ihre große Schwester da vor fünfzehn Jahren in
die Welt gesetzt hatte, hatte sie sich noch nie interessiert.  
    Ich
war völlig durcheinander. Betty erwartete meine Antwort, aber ich konnte ihr
keine geben.
    Natürlich
wollte ich nicht ins Heim. Darüber brauchte ich nicht lange nachzugrübeln. Aber
musste es deshalb gleich Tante Betty sein? Ich hatte über all diese Dinge noch
keine Sekunde nachgedacht, denn schließlich war mein Vater erst vor vier Tagen
gegen den Baum gerast und hatte mich allein auf dieser Welt zurückgelassen.
Jetzt überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf und gleichzeitig war ich
wie gelähmt.
    Natürlich
war es Martha, die sich als Erste fing.  „Das ist unmöglich“, sagte sie
erstaunlich ruhig und ließ sich in den großen Ohrensessel zurücksacken,
verhaltener Beifall von allen Seiten.
    Und
plötzlich war mir klar, dass es für mich nur eine einzige Antwort gab. Betty
hatte sich so weit vorgewagt, dass ich sie unmöglich hängen lassen konnte. Mir
gefiel, was sie gesagt und getan hatte. Und an  Alternativen fehlte es mir
ohnehin. Mit einem kleinen Lächeln nickte ich ihr  zu. Sie erwiderte
meinen Blick, verstand mich und trat ans Fenster.
    „So“,
sagte sie, die Hände auf die Fensterbank gestützt, „das ist also unmöglich,
liebe Martha? Und ihr anderen seid auch dieser Meinung?“
    Zustimmendes,
leicht verlegenes Gemurmel.
    „Dann
kann mir ja wahrscheinlich auch jemand von euch erklären“, fuhr sie in geradezu
süßlichem Tonfall  fort,  „weshalb?“
    Betretenes
Schweigen, verhaltenes Räuspern.
    „Manfred“,
schlug sie freundlich vor, „wie wäre es denn mit dir? Du weißt doch immer
alles. Erklär es mir. Warum ist es unmöglich, das Julian zu mir kommt? Und vor allem, erklär es dem Jungen. Damit auch er
kapiert, warum ein Heim die beste Lösung für ihn ist.“
    Ganz
langsam schritt sie auf den total verdatterten Manfred zu, bis sie ganz dicht
vor ihm stand. „Was ist, Manfred? Warum erklärst du es uns nicht?“
     „Weil
eine Erklärung absolut überflüssig ist!“, fuhr Martha dazwischen. Wie von einer
uninteressant gewordenen Beute wandte Betty sich nun von
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