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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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hat keiner gedacht. Wie sollten wir auch. Der Wind, dieser ewige Wind von der Küste her, blies die tiefhängenden Wolken landeinwärts, es regnete, dann schien plötzlich die Sonne aus einem Himmelsloch, Luisa rief: Seht ihr das!, sie und Jenny faßten sich an und hüpften wie Kinder die Dorfstraße entlang, Antonis sagte: Da haben die Leute was zu gucken!, aber wieviel Leute konnten das schon sein in den fünf Häusern, die Kopf und Hals des »Katers« bildeten. Elf Leute, genau gerechnet, Frau Käthlin und Frau Holter lebten noch, seit ihrem Tod hat die Einwohnerzahl sich vergrößert.
    Wir alle, jeder von uns, haben uns immer an jede Einzelheit dieses Tages erinnert. Wie wir über die Hügel zurückliefen, als flögen wir, plötzlich in übermütiger Stimmung. Wie wir wieder zu dem Haus von Antonis und Luisa kamen, welches der Inbegriff aller Bauernhäuser war und bleiben würde. Wie des Antonis’ kleine flinke Großmutter ihnen einen Salat zubereitet hatte und sie raten ließ, was das sei, bis herauskam, es war der erste zarte Löwenzahn, mit Zitrone und Knoblauch gewürzt, auf griechische Art, und wie der Großmutter Äuglein funkelten, daß diesen Deutschen ihr Salat schmeckte, daß sie sogar Knoblauch aßen, so daß sie glaubte, sie müßten sie verstehen, wenn sie mit ihnen griechisch sprach. Wir verstanden sie auch, bis zu einem gewissen Grad, wenn wir den Bewegungen ihrerfeinen, verarbeiteten Hände folgten und in ihre wasserhellen, fältchenumgebenen Augen sahen. Wir sagten: Ja, Großmutter, ja. Ellen aß ihr erstes Stück einer griechischen Pita, mit Quark gefüllt, die Luisa backen konnte wie niemand sonst und die von dieser Stunde an zu ihren Lieblingsspeisen gehören würde. Immer würde Luisa ihr die Rand- und Eckstücke zuschieben, nie vergaß sie, was jemand liebte oder sich wünschte. Dies war der Anfang von etwas, wir fühlten es stark, wir wußten nicht, wovon, und wir merkten, daß wir auf neue Anfänge nicht mehr gehofft hatten. Endlich wird der Schmerz zunichte... Jenny und Luisa würden ihre Köpfe zusammenstecken, einen blonden glatthaarigen und einen dunklen krausen, sie würden herumalbern wie Kinder, Antonis würde Wein nachschenken und sie zu essen nötigen, auf griechische Art, Ellen und Jan hätten zum erstenmal ihre Plätze auf der Bank unter der Küchenklappe, in allem, was wir taten, steckte die Fähigkeit zu dutzendfacher Wiederholung, so einfach war es. Endlich sieht man Freudental... Kerzen brannten. Die Katze war schon wieder tragend. Die blühenden Geranienstöcke an den Fenstern waren auf dem besten Weg, Geranienbäume zu werden. Ellen sagte, ich sag euch mal die Strophe eines Gedichts, das Ganze kenn ich nicht, hört mal zu: Endlich blüht die Aloe / Endlich trägt der Palmbaum Früchte / Endlich schwindet Furcht und Weh / Endlich wird der Schmerz zunichte / Endlich sieht man Freudental / Endlich, endlich kommt einmal.
    Ein kleines Schweigen, Luisa lief aus dem Zimmer, Antonis hob sein Glas und sagte zum ersten von hundert Malen: Willkommen in Winsdorf Ausbau. Wiederund wieder, über die Jahre hin. Die Beleuchtung wird wechseln, wir werden älter werden, die Mühle der Wiederholungen war in Gang gesetzt. Ellen wußte auf einmal den Dichter des Gedichts, die erste Zeile fiel ihr ein: Endlich bleibt nicht ewig aus. Dann kam sie auf den Titel: Trost-Aria.

3.
    Alles Mögliche geschah, das schöne Unbedeutende, das man leicht vergißt. Daß im nächsten Frühjahr – auf dem Land braucht alles Zeit – Jan und Jenny sich für ein paar Tage bei den Rahmers einquartierten, kurz ehe die auszogen. Daß sie in Rahmers Ehebetten schliefen und nachts durch die Holzwand aus der Nebenkammer Olgas »sämtliche« Geräusche hörten, so drückte Jenny sich aus. Und an jedem Morgen, den der liebe Gott werden ließ, starr und steif und stumm aus ihren Betten Olga mit den Blicken folgten, wie die, einen vollen Nachttopf am ausgestreckten Arm vor sich her tragend, laut murmelnd und schimpfend ihr Zimmer durchquerte. Daß sie schon zum Frühstück nach Landessitte fettes Bauchfleisch vorgesetzt bekamen, mittags dann den mecklenburgischen Kartoffel-Apfelbrei mit ausgelassenem Speck. Daß sie mit Fritz Schependonk, dem Nachbarn, Bekanntschaft schlossen, der sie beide für ein heimliches Paar hielt und Jan unter Männern anvertraute, ihm stünden die Sinne auch noch mal nach einer blonden Achtzehnjährigen; ob er, Jan, glaube, daß er sich Hoffnung machen könne. Vaters Gesicht! sagte Jenny. Zu
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