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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei
Autoren: Manuela Martini
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prison cell.
Do you still remember
The color of my eyes?
The sound of my voice?
Time is the enemy.
    Ich sang den Song ganz leise, wenn ich nicht schlafen konnte, auch später in der Klinik, und ich singe ihn immer noch. Er hilft mir zu überleben.
    Ich schließe die Augen. Sie brennen. Ich schlafe ja kaum.
    Vielleicht haben wir uns gestritten? Oder es waren der Alkohol und diese verfluchte kleine Pille? Ich kann mich nicht erinnern.
    Die Nacht der Sommerparty. Maurice und ich. Dann sehe ich alles vor mir, wie Schnappschüsse in einem Fotoalbum. Maurice und ich im Bootshaus. Das Boot schaukelt im Wasser, auf dem sich glitzernd das Mondlicht spiegelt. Seine Hände in meinem Nacken. Sein Gesicht, das sich langsam dem meinen nähert. Der Kuss. Schließlich hebe ich das schwere, alte Holzruder auf – wir wollen mit dem Boot auf den See. Dann der dumpfe Schlag.
    Und dann… ja, dann folgt das große schwarze Loch, der aus meinen Erinnerungen ausgestanzte Moment.
    Als ich wieder zu mir komme, halte ich noch immer das Ruder in der Hand. Und vor mir liegt Maurice, mit dem Hinterkopf an die Bootswand geschlagen. An der Schläfe eine blutende Wunde, die ich ihm mit dem Ruderblatt zugefügt habe.
    Seine Augen sind leer.
    Ich habe Maurice umgebracht.

2
    Vergangenheit
    Ich bin ihm das erste Mal an meinem zweiten Tag in der neuen Schule begegnet. Eigentlich wollte ich nach dem ersten Tag schon gar nicht mehr dorthin. Das in Kinding war einfach eine andere Welt, in die ich definitiv nicht hineinpasste. Die Welt von D&G, Lacoste, Hilfiger und Co.
    Keiner trug H&M-Jeans wie ich. Wirklich keiner. Ich kam mir vor, als hätte ich statt Klamotten Kartoffelsäcke an.
    Keiner hatte ein so unschickes Handy wie ich – ein Nokia, das man zwar nicht gerade als altmodisch bezeichnen konnte, aber es war kein iPhone und auch kein BlackBerry.
    Nie im Leben habe ich mich so sehr zweiter Klasse gefühlt wie an dieser Schule. Für die meisten war ich einfach Luft.
    Aber meine Noten, besonders in Physik und Mathe, waren so gut, dass mich meine Eltern unbedingt auf die Schule mit den besten Lehrern schicken wollten. Tja, und das war nun mal leider das Augustinus-Gymnasium.
    Er fiel mir also auf, als ich am Morgen über den Schulhof ging. Die Sonne schien, es war Frühsommer und die Luft roch nach Heckenrosenblüten und war noch ein bisschen feucht von der Nacht. Wir hatten in der ersten Stunde Geschichte und ich hoffte, dass sie hier im Unterricht nicht weiter waren als an meiner alten Schule. Meine Eltern erwarteten, dass ich meine Zwei halten konnte…
    Daran dachte ich, als er plötzlich da war – inmitten all der Gesichter sah ich auf einmal sein Gesicht. Dunkle Locken fielen ihm in die Stirn und seine Augen sahen direkt in meine, als hätte er nur auf mich gewartet. Um uns herum tobten und lachten und redeten alle, nur wir waren still und sahen uns an. Ich hatte das Gefühl, als würde die Zeit stehen bleiben, als würden seine Augen mich in sich hineinziehen, an einen Ort, nach dem ich so lange gesucht hatte.
    Das war Quatsch, das wusste ich, aber trotzdem, in dem Moment empfand ich es genau so. Wir mussten uns schon früher begegnet sein. In einem anderen Leben.
    Und dann wurde mir plötzlich bewusst, dass ich inmitten einer Menge Leute stand, die mich abschätzig grinsend musterte. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, und mein Gesicht fühlte sich knallrot an. Schnell wandte ich den Blick ab und hastete an ihm vorbei, die Augen fest auf meine Sneakers geheftet, die mir auf einmal viel zu alt und schmutzig vorkamen.
    Du bist total bescheuert, Franziska!, schimpfte ich mich. Glaubst du wirklich, dass dieser Typ sich ernsthaft für dich interessieren würde? Er trägt wie alle anderen Designer-Jeans, die neuste Ray Ban und sein Hemd sieht auch verdammt teuer aus! Was soll so einer an dir schon finden?
    Erleichtert atmete ich auf, als ich ihn in ein anderes Klassenzimmer gehen sah. Er war in der Parallelklasse. Gott sei Dank.
    Trotzdem musste ich an diesem Tag dauernd an ihn denken. In der Pause lief ich quer über den Schulhof und hielt nach ihm Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo mehr sehen. Am Nachmittag konnte ich mich kaum auf meine Hausaufgaben konzentrieren. Du spinnst, sagte ich mir, schlag ihn dir aus dem Kopf! Warum sollte er sich für dich interessieren, wo doch alle anderen Mädchen in deinem Alter viel besser aussehen! Sie hatten coolere Klamotten, waren schlanker, größer und blonder, sie hatten längeres Haar,
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