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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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doppelten Schmerz. Aus medizinischen Gründen nahm ich zwei Gläser aus dem Schrank. Auf dem Weg zurück zur Treppe traf ich wieder auf meinen orange getigerten Kater, in dessen Augen sich das Mondlicht spiegelte. Er schnurrte mir oben vom DVD -Player entgegen, wobei sein Schwanz vor der leuchtenden Uhr hing. Wieder rief ich seinen Namen, und er schlug mit dem Schwanz gerade so, dass ich die Ziffern 452 erkennen konnte. Ich tippte mit einem Fingernagel auf das Glas meiner Armbanduhr.
    Als ich an der geschlossenen Tür vorbeiging, die zu den nackten Ladys führte, hielt ich die Luft an und hörte den Rhythmus ihres Schlummerns. Eine Bodendiele knarzte. Wieder seufzte jemand. Fantasien wilder Ekstase blitzten in meinem Hirn auf. Auf Zehenspitzen schlich ich an der Festung vorbei ins Badezimmer.
    Reglos saß die Gestalt meines Vaters noch genau an derselben Stelle auf dem Wannenrand. Eine winzige Stoppelfeder stak wie eine Fahne aus seiner gewaltigen Augenbraue. Er kippte seinen Whiskey nicht mit einem einzigen Schluck hinunter, wie man es von einem Ausgedörrten hätte vermuten können. Stattdessen hielt er das Glas ins Licht, prüfte die Klarheit der Flüssigkeit, roch am Bouquet, benetzte seinen Gaumen, und erst dann schluckte er. Der Whiskey erwärmte ihn, ließ seine Augen erstrahlen und verstärkte den Blutfluss unter seiner bleichen Haut. Wieder nippte er, die Trockenheit verschwand aus seinem Atem, nun sah er fast lebendig aus. Als er sich erneut räusperte, flogen ihm keine Federn mehr aus dem Mund.
    »Fühlst du dich etwas besser?«, fragte ich.
    Als er mit einer bogenartigen Geste seiner freien Hand mich bat, ich möge mich hinsetzen, nahm ich dem alten Mann gegenüber auf dem Klodeckel Platz, sodass sich unsere Knie fast berührten. Während er immer wieder am Whiskey nippte, nahm er mich in Augenschein, und je mehr er trank, desto klarer wurde sein Blick. Als er das Glas so gut wie ausgetrunken hatte, waren seine Augen so blau wie das Feuer inmitten einer Kerzenflamme. Er vereiste mich mit seinem Blick, ließ mein Gehirn erfrieren, verschloss meine Zunge hinter dem Gefängnis meiner Zähne. Ich konnte nichts tun, außer dumm zurückzugucken und abzuwarten, so wie ich es als Kind getan hatte, bis er sich herabließ, das erste Wort zu sprechen.
    »Die Frage ist doch: Fühlst du dich besser? Das war ja ein böser Schlag aufs Hirn.«
    Ich griff hinter mein linkes Ohr, die Wunde hatte sich vollkommen geschlossen. Nichts als die alte Geschmeidigkeit von Haut und Knochen, wo eben noch ein Loch gewesen war. Ich trommelte auf die Stelle, und es fühlte sich so an, als wäre nie etwas geschehen. Mein Vater schüttelte den Kopf. Auch das Blut war vom Boden verschwunden, nur die roten Flecken auf meinem Bademantel verblieben als Beweis für den Angriff. Ich strich über die Stelle und betrachtete meine Finger, um zu prüfen, ob Blut an ihnen klebte, doch sie waren pulvertrocken. Mein Tag wurde immer komplizierter.
    »Ich fühle mich sehr viel besser, danke.«
    »War ja doch«, entgegnete er, »ein heftiger Schlag auf die Rübe. Bist du sicher?«
    »Um dir die Wahrheit zu sagen, ich bin mir überhaupt nicht sicher, über gar nichts. Dieser ganze Tag war ein einziges unerklärliches Puzzle.«
    »Der ganze Tag, wirklich? Vom Moment des Aufwachens bis jetzt? Bis … wie spät ist es denn?«
    »Ich fürchte, meine Uhr ist stehen geblieben.«
    »Macht nichts.« Er goss sich ein weiteres Glas ein. »Aber du weißt, Lohn der Geduld ist die Geduld, wie du sicher schon des Öfteren gehört hast.« Seiner Bemerkung schickte er ein leises Kichern hinterher, als feierte er einen originellen Gedanken.
    Da hatte er mich. Statt dass mein Erinnerungsvermögen sich zurück in die Vergangenheit dehnte, schien es in der Gegenwart einzementiert zu sein. Ich kratzte mich am Kopf und überlegte, ob er mir eine Frage gestellt hatte. Er goss sich noch einen Drink ein und sagte nichts. Ich dachte darüber nach, ihn zu fragen, wie es komme, dass er hier sei, in meinem Bad, mehr als ein Dutzend Jahre nachdem wir ihn beerdigt hatten, doch ich fürchtete seine verschiedenen möglichen Antworten.
    Schließlich sprach er wieder. »Was machst du mit den nackten Frauen?« Er runzelte die Stirn über meinen verblüfften Blick, schüttelte den Kopf und hob die buschigen Augenbrauen. »Du erinnerst dich doch an diese nackten Frauen in deinem Bett?«
    »Sag bitte nicht, dass da mehr als eine ist.«
    »Es sind sieben«, sagte er mit einem geilen Grinsen,
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