Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
sie sich laienhaft und allzu hoffnungsvoll in die Quantenfeldtheorie stürzten und ihren esoterischen Treibstoff plötzlich vor sich sahen, in den Lücken des freien Raums ihrer dunklen Schuppen oder stillen Kämmerlein - Nullpunktenergie.
    Quantenmechanik. Fundgrube und Müllhalde des menschlichen Strebens, ein Grenzgebiet, wo mathematische Exaktheit über den gesunden Menschenverstand siegte und Vernunft und Phantasie sich irrational vermengten. Hier konnten mystisch Veranlagte alles finden, was sie brauchten, und sich doch stets auf die Wissenschaft berufen. Es mochte diesen Freizeitgenies geisterhaft und verlockend genug in den Ohren klingen - spektrale Asymmetrie,Resonanzen, Quantenverschränkung, harmonischer Oszillator -, wie betörende alte Weisen und Sphärenharmonie, die Verwandlung von Blei in Gold, die Konstruktion einer Maschine, die praktisch mit nichts angetrieben wurde, mit virtuellen Partikeln, die keine Schadstoffe emittierte und die Idee des menschlichen Fortschritts beflügeln und bewahren würde. Die Sehnsucht dieser einsamen Männer rührte Beard. Aber wie kam er überhaupt darauf, dass sie einsam waren? Nicht Arroganz, jedenfalls nicht nur, brachte ihn auf diesen Gedanken. Sie wussten zwar nicht genug, aber sie wussten zu viel, als dass sie noch mit irgendjemandem darüber reden konnten. Kein Kumpel im Pub oder beim Veteranenverein, keine von Job, Kindern und Hausarbeit gestresste Ehefrau - niemand vermochte ihnen in die Wurmlöcher des Raum-Zeit-Kontinuums zu folgen, die den kürzesten Weg zur endgültigen Antwort auf das globale Energieproblem wiesen.
    Beard formulierte eine vom US-Patentamt inspirierte Direktive, worin die Genies aufgefordert wurden, ihren Plänen für Perpetuum mobiles und Maschinen mit einem Wirkungsgrad von über 100 Prozent ein funktionierendes Modell beizufügen. Es kam allerdings kein einziges. Braby, der sein Ziel nicht aus den Augen ließ, sah den Nachwuchswissenschaftlern bei ihrer Arbeit genau auf die Finger. Jede Einsendung war individuell, ernsthaft und höflich zu beantworten. Doch auf dem Brettertisch fand sich nichts Neues, jedenfalls nichts Neues, das man brauchen konnte. Der epochemachende einsame Erfinder war ein Phantom der Popkultur - und des Ministers.
    Lähmend schwerfällig nahm das Institut Gestalt an.
    Laufplanken wurden über den Matsch gelegt - ein gewaltiger Fortschritt -, dann wurde der Matsch geglättet und Rasen eingesät, im Sommer schließlich waren Wiesen und Wege fertig, und das Ganze sah aus wie jedes andere langweilige Institut auf der Welt. Die Labore wurden neu eingerichtet, und endlich wurden auch die Wohncontainer abtransportiert. Der angrenzende Acker wurde entwässert, Fundamente wurden ausgehoben und ein Gebäude hochgezogen. Weitere Mitarbeiter wurden eingestellt - Pförtner, Büroreinigungskräfte, Verwaltungspersonal, Hausmeister, sogar Wissenschaftler und nicht zuletzt ein Team, das solche Leute anwerben sollte. Nach Erreichen der kritischen Masse wurde eine Kantine in Betrieb genommen. Ein schickes Backsteingebäude neben dem rotweiß gestreiften Schlagbaum beherbergte ein Dutzend Sicherheitsleute, die sich in ihren dunkelblauen Uniformen untereinander recht munter und fast allen anderen gegenüber recht finster verhielten und sich einzubilden schienen, der Laden gehöre im Grunde ihnen und die anderen seien bloß Eindringlinge.
    Während dieser ganzen Zeit wechselte kein einziger der sechs Nachwuchswissenschaftler auf einen besser bezahlten Posten am Caltech oder mit . Auf einem Gebiet, wo es vor Wunderkindern nur so wimmelte, hatten sie atemberaubende Lebensläufe vorzuweisen. Beard, der immer Mühe hatte, sich Gesichter zu merken, besonders die von Männern, konnte oder wollte sie lange Zeit nicht auseinanderhalten. Sie waren zwischen sechsundzwanzig und achtundzwanzig Jahre alt und alle über eins achtzig groß. Zwei trugen einen Pferdeschwanz, vier haargenau die gleichen randlosen Brillen, zwei hießen Mike, zwei sprachen mit schottischem Akzent, drei hatten bunte Schnüre um die Handgelenke, alle trugen verblichene Jeans und Turnschuhe und Trainingsjacken. Am besten, man behandelte sie alle gleich, ein wenig distanziert, als wären sie ein und dieselbe Person. Am besten beleidigte man nicht den einen Mike, indem man ein Gespräch mit ihm fortsetzte, das man mit dem anderen angefangen hatte, und man ging am besten nicht davon aus, dass der Bursche mit Pferdeschwanz, Brille und schottischem Akzent, aber ohne bunte Schnur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher