Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen
Autoren: Kristin Harmel
Vom Netzwerk:
Strand wohnt, ist mit seinen beiden vierjährigen Zwillingen, Jay und Merri, hier, die die Glasur von ihren Vanilleküchlein lecken, obwohl es erst Frühstückszeit ist. Und Emma Thomas, die Hospizschwester in den Fünfzigern, die meine Mom gepflegt hat, als sie im Sterben lag, steht an der Theke und überlegt, welches Gebäckstück sie zu ihrem Tee nehmen soll.
    Ich bin eben dabei, einen Blaubeermuffin zum Mitnehmen für Emma einzupacken, als Annie an mir vorbeistapft, in ihrer Jacke, den Rucksack über eine Schulter geschlungen. Ich halte sie am Arm fest, bevor sie vorbeilaufen kann.
    »Zeig mir mal dein Gesicht«, sage ich.
    »Nein«, murmelt sie mit gesenktem Kopf.
    »Annie!«
    »Egal«, murmelt sie. Sie blickt auf, und ich sehe, dass sie eine frische Schicht Wimperntusche aufgetragen und ihren hässlichen Lippenstift nachgezogen hat. Außerdem hat sie offenbar fuchsiafarbenes Rouge aufgelegt, das ihre Wangenknochen nicht annähernd erreicht.
    »Wisch dir das ab, Annie«, sage ich. »Sofort. Und lass das Make-up hier.«
    »Du kannst es mir nicht wegnehmen«, gibt sie zurück. »Das habe ich von meinem eigenen Geld gekauft.«
    Ich sehe mich um, und mir wird bewusst, dass es im Laden plötzlich still geworden ist, bis auf Jay und Merri, die in der Ecke vor sich hin plappern. Gavin sieht mich besorgt an, und die beiden alten Damen in der Nähe der Tür starren nur zu mir herüber. Auf einmal bin ich verlegen. Ich weiß, dass ich ohnehin schon wie die Versagerin der Stadt dastehe, weil ich meine Ehe mit Rob habe scheitern lassen; alle finden, er ist ein Traummann, und dass ich von Glück reden konnte, ihn überhaupt zu heiraten. Und jetzt habe ich offenbar auch noch als Mutter versagt.
    »Annie«, sage ich und beiße die Zähne zusammen. »Tu es jetzt. Und diesmal bekommst du wirklich Hausarrest, weil du mir nicht gehorchst.«
    »Ich wohne die nächsten Tage bei Dad«, feixt sie grinsend. »Du kannst mir gar keinen Hausarrest geben. Schon vergessen? Du wohnst nicht mehr dort.«
    Ich schlucke schwer. Ich werde sie nicht merken lassen, dass ihre Worte mich verletzt haben. »Na wunderbar«, sage ich fröhlich. »Dann bekommst du eben von dem Augenblick an Hausarrest, in dem du mein Haus betrittst.«
    Sie flucht leise, sieht sich um und scheint zu begreifen, dass alle sie ansehen. »Egal«, murmelt sie auf dem Weg zur Toilette.
    Ich atme einmal aus und wende mich wieder zu Emma um. »Entschuldigung«, sage ich. Mir wird bewusst, dass meine Hände zittern, als ich wieder nach ihrem Gebäckstück greife.
    »Süße, ich habe drei Mädchen großgezogen«, sagt sie. »Keine Sorge. Das legt sich wieder.«
    Sie bezahlt und geht, und dann sehe ich, wie Mrs Koontz und Mrs Sullivan, die hierherkommen, seit die Bäckerei vor sechzig Jahren eröffnet wurde, von ihrem Tisch aufstehen und hinausschlurfen, jede an einem Gehstock. Derek und seine Mädchen sind ebenfalls im Aufbruch, daher gehe ich um die Theke herum nach vorn, um ihre Teller abzuräumen. Ich helfe Merri dabei, ihre Jacke zuzuknöpfen, während Derek Jays Reißverschluss zuzieht. Merri bedankt sich für das Vanilleküchlein, und ich winke, als sie alle gehen.
    Annie kommt wenig später aus der Toilette zum Vorschein, das Gesicht zum Glück frei von Make-up. Sie knallt eine Wimperntusche, einen Lippenstift und eine Dose Rouge auf einen der Tische und funkelt mich zornig an. »Bitte sehr. Zufrieden?«, fragt sie.
    »Überglücklich«, bemerke ich trocken.
    Sie bleibt noch einen Moment stehen. Sie sieht aus, als ob sie noch irgendetwas sagen will, und ich mache mich schon auf irgendeine sarkastische Beleidigung gefasst, daher wundere ich mich, als sie nur fragt: »Wer ist eigentlich Leona?«
    »Leona?« Ich forsche in meinem Gedächtnis, fördere aber nichts zutage. »Ich weiß nicht. Warum? Wo hast du diesen Namen denn gehört?«
    »Mamie«, sagt sie. »Sie nennt mich ständig so. Und es scheint sie irgendwie richtig traurig zu machen.«
    Ich bin verblüfft. »Du hast in letzter Zeit Mamie besucht?« Als meine Mutter vor zwei Jahren starb, mussten wir meine Großmutter in ein Demenz-Pflegeheim geben; ihre Alzheimererkrankung hatte sich rasch verschlimmert.
    »Ja«, sagt Annie. »Na und?«
    »Ich … ich wusste nur nicht, dass du das tust.«
    »Irgendwer muss es ja tun«, faucht sie zurück.
    Ich bin sicher, die Schuldgefühle sind mir anzusehen, denn Annie blickt triumphierend.
    »Ich habe mit der Bäckerei alle Hände voll zu tun, Annie«, sage ich.
    »Ja, na ja, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher