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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen
Autoren: Deborah Crombie
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unversöhnlicher Miene aus dem Fenster hinaus auf die sanften Hügel von Cheshire.
    Als Gemma an diesem Morgen noch rasch die liegen gebliebene Post der letzten Woche durchgegangen war, hatte sie einen Brief gefunden, der an Kincaid adressiert war und den Stempel von Kits Schule trug. In der Annahme, eine Bitte um Spenden oder die Ankündigung irgendeiner Schulveranstaltung darin vorzufinden, hatte sie ihn achtlos aufgerissen. Doch als sie den Inhalt überflogen hatte, war ihr der Schock in alle Glieder gefahren, und sie war wie angewurzelt in der Küche stehen geblieben. Das Schreiben kam von Kits Schulleiterin. Sie ließ Kincaid wissen, dass Kits schulische Leistungen sich in jüngster Zeit in besorgniserregender Weise verschlechtert hätten, und forderte ihn auf, sich nach den Ferien zu einem Beratungsgespräch bei ihr einzufinden. Die Unterschriften auf früheren Briefen, die seine Lehrer Kit nach Hause mitgegeben
hatten, fügte die Leiterin noch hinzu, seien nach Ansicht des Kollegiums vermutlich gefälscht.
    Gemma hatte sich mühsam zusammengenommen, bis Kincaid nach Hause gekommen war, und dann hatten sie Kit gemeinsam zur Rede gestellt.
    Das Gespräch war nicht gut verlaufen. Kincaid war ausgerastet. Nicht nur die Tatsache, dass Kit ihn hintergangen hatte, brachte ihn auf die Palme, sondern mindestens ebenso sehr seine Sorge um das schulische Abschneiden des Jungen. Er brüllte seinen Sohn an, während Toby und die Hunde sich verschreckt in die Zimmerecke verkrochen. Kit wurde kreidebleich und zog sich sofort in sein Schneckenhaus zurück – und Gemma musste die Friedensstifterin spielen.
    »Es ist schon zu spät, um die Schulleiterin anzurufen«, hatte sie gesagt. »Wir müssen bis nach den Ferien warten. Also schlage ich vor, dass wir uns jetzt alle beruhigen und uns von dieser Sache nicht die Feiertage verderben lassen.« Mit einem Blick auf ihre Uhr hatte sie hinzugefügt: »Und wenn wir nicht bald losfahren, werden wir nie rechtzeitig zum Abendessen bei deinen Eltern sein.«
    Kincaid hatte sich mit einem angewiderten Achselzucken abgewandt, um den Rest des Gepäcks zu verstauen, und Kit war in das eisige Schweigen verfallen, in dem er seither verharrte. Es war irgendwie absurd, dachte Gemma, aber obwohl Kit derjenige war, der einen Rüffel bekommen hatte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie und Duncan es waren, die versagt hatten. Sie hätten sich darüber verständigen müssen, wie sie mit der Sache umgehen wollten, ehe sie Kit zur Rede stellten; vielleicht hätten sie sogar zuerst mit der Schulleiterin sprechen sollen, ehe sie sich den Jungen vorknöpften.
    Erst vor kurzem hatten sie den erbitterten Streit mit den Eltern von Kits Mutter um das Sorgerecht, der sie fast das ganze letzte Jahr über in Atem gehalten hatte, zumindest bis auf Weiteres
beilegen können. Und das hatte sie wohl dazu verleitet, sich in einer trügerischen Sicherheit zu wiegen. Kit hatte endlich in den DNA-Test eingewilligt, und nachdem der Beweis erbracht war, dass Duncan Kits leiblicher Vater war, hatte das Gericht ihm das Sorgerecht zugesprochen – allerdings mit der Einschränkung, dass das Wohl des Jungen und die Stabilität seines häuslichen Umfelds weiterhin regelmäßig zu überprüfen seien.
    Sie hätten sich denken können, dass es unklug war, sich auf dem Erreichten auszuruhen, dachte Gemma. Es war zu einfach – und mit Kit würde es niemals wirklich einfach sein. Ein simpler Vaterschaftstest konnte nicht wie durch Zauberhand die Wunden heilen, die der Tod seiner Mutter und das Verlassenwerden durch seinen Stiefvater geschlagen hatten.
    Als sie zu Kincaid hinübersah, wurde ihr plötzlich klar, dass sein untypischer Zornesausbruch von der Angst herrührte, all das wieder zu verlieren, was sie so mühsam errungen hatten.
    Auf dem Rücksitz regte sich etwas, und ein Gähnen war zu hören. »Sind wir schon da?«, ließ Toby sich vernehmen. »Ich hab Hunger.«
    »Du hast immer Hunger, junger Mann«, erwiderte Kincaid. »Und es ist gar nicht mehr weit. Nur noch ein kleines Stückchen.«
    »Kriegen wir von Oma Rosemary auch Mince Pies?« Wie immer hatte Toby von Tiefschlaf auf Wachzustand umgeschaltet und sprühte vor Tatendrang und Energie.
    Gemma fand es amüsant und zugleich rührend, dass Toby, der Duncans Eltern noch gar nicht kannte, sie ohne Weiteres als Teil der Familie angenommen hatte, während sie selbst, obwohl sie immerhin Duncans Mutter schon kennengelernt hatte, sich fühlte wie vor einer
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