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So gut wie tot

Titel: So gut wie tot
Autoren: Peter James
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Die langen blonden Haare hatte sie kurz geschnitten und schwarz gefärbt, sie trug eine Sonnenbrille, schlug den Kragen ihrer Jacke hoch und lief als Fremde durch die Stadt, in der sie einst geboren und aufgewachsen war. Sie hatte hier Wirtschaft studiert und in Bars gekellnert, als Sekretärin bei einer Zeitarbeitsfirma gejobbt, Freunde gehabt und sogar von einer Familie geträumt, bevor das Reisefieber sie ergriff.
    Nun war sie zurück. Inkognito. Eine Fremde in ihrem eigenen Leben. Verzweifelt darauf bedacht, nicht erkannt zu werden. Wenn sie, was selten geschah, einem Bekannten begegnete, schaute sie weg. Sah sie in einer Kneipe einen alten Freund, verließ sie sofort das Lokal. Verdammt noch mal, sie war richtig einsam!
    Und verängstigt.
    Nicht einmal ihre Mutter wusste, dass sie wieder in England war.
    Vor drei Tagen war sie siebenundzwanzig geworden. Was für eine Sause! Sie hatte allein in der Wohnung gefeiert – mit einer Flasche Champagner, einem erotischen Film auf Sky Channel und einem Vibrator mit leerer Batterie.
    Früher war sie stolz auf ihre natürliche Schönheit gewesen. Sie strotzte vor Selbstbewusstsein und konnte sich immer und überall die Männer aussuchen. Sie konnte nett plaudern, charmant sein und auch verletzlich wirken, was Männern gefiel, das hatte sie vor langer Zeit begriffen. Nun aber war sie wirklich verletzlich, und das machte überhaupt keinen Spaß.
    Es machte auch keinen Spaß, auf der Flucht zu sein.
    Selbst wenn es nicht für immer war.
    Auf Regalen, Tischen und auf dem Boden stapelten sich Bücher, CDs und DVDs, die sie im Internet bestellt hatte. In den zwei Monaten, die sie nun auf der Flucht war, hatte sie mehr Bücher gelesen und ferngesehen als in ihrem ganzen Leben. Die übrige Zeit verbrachte sie damit, online Spanisch zu lernen.
    Sie war hierher zurückgekommen, weil sie und Dave es für sicher hielten. Falls es einen Ort gab, an dem er nicht auftauchen würde, dann an diesem. Der einzige Ort auf dem Planeten. Ganz sicher war sie dennoch nicht.
    Sie war noch aus einem anderen Grund nach Brighton gekommen, der höchste Priorität genoss. Der Gesundheitszustand ihrer Mutter verschlechterte sich zusehends, und sie musste ein gutes privates Pflegeheim finden, in dem sie ihre letzten Jahre würdevoll verbringen konnte. Abby hätte es nicht ertragen, sie auf der geriatrischen Station in einem der furchtbaren staatlichen Altenheime zu wissen. Sie hatte schon ein wunderschönes Heim auf dem Land ausgeguckt. Es war teuer, doch nun konnte sie es sich leisten, ihre Mutter auf Jahre dort unterzubringen. Sie musste nur noch ein bisschen in Deckung bleiben.
    Plötzlich meldete ihr Handy eine SMS. Sie lächelte, als sie den Absender las. Die kurzen Nachrichten, die sie alle paar Tage erhielt, waren eine enorme Hilfe.
     
    Abwesenheit verringert eine kleine Liebe und vergrößert eine große Liebe, so wie der Wind die Kerze ausbläst und das große Feuer auflodern lässt.
     
    Sie überlegte kurz. Ein Vorteil ihres augenblicklichen Daseins bestand darin, dass sie ohne schlechtes Gewissen stundenlang im Internet surfen konnte. Sie liebte es, Zitate zu sammeln, und schickte eins als Antwort zurück.
     
    Liebe heißt nicht, einander anzuschauen. Liebe heißt gemeinsam in dieselbe Richtung zu blicken.
     
    Zum ersten Mal war sie einem Mann begegnet, der in dieselbe Richtung blickte wie sie. Noch war es nur ein Name auf einer Landkarte. Bilder, die sie aus dem Netz heruntergeladen hatte. Ein Ort, an den sie in ihren Träumen reiste. Bald aber würden sie gemeinsam dorthin fahren. Sie mussten sich nur noch ein wenig gedulden. Sie beide.
    Sie klappte die Zeitschrift The Latest zu, in der sie sich Traumhäuser angeschaut hatte, drückte die Zigarette aus, trank ihren Sauvignon und begann ihren üblichen Rundgang vor dem Verlassen der Wohnung.
    Zuerst trat sie ans Fenster und spähte durch die Jalousien auf die Reihenhäuser im Regency-Stil. Das orange-gelbe Licht der Straßenlaternen drang in jeden Winkel. Ein Herbststurm peitschte heulend den Regen wie Schrotkörner gegen die Fensterscheiben. Als Kind hatte sie sich vor der Dunkelheit gefürchtet. Verrückt, heute fühlte sie sich im Dunkeln sicher.
    Sie kannte alle Autos, die regelmäßig auf der Straße parkten, und überprüfte sie rasch. Den schmutzigen, mit Vogelkacke bekleckerten Golf GTI, den Ford Galaxy, der dem Paar von gegenüber mit den quengelnden Zwillingen gehörte, das nur damit beschäftigt schien, Einkäufe und
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