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So gut wie tot

Titel: So gut wie tot
Autoren: Peter James
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bestellte frisch gepressten Orangensaft, einen Caffè Latte, Rührei mit Speck und Weizentoast. Während er auf das Essen wartete, ging er noch einmal den Businessplan durch und schaute auf die Uhr.
    In England war es jetzt fünf Stunden später. Lorraine würde gerade in Brighton beim Mittagessen sitzen. Er rief sie rasch an, um ihr zu sagen, dass er sie liebte, und sie wünschte ihm Glück für den Termin. Es war so einfach, Frauen glücklich zu machen, ein bisschen Geturtel ab und zu, dann und wann ein Gedicht oder ein wertvolles Schmuckstück – aber nicht zu oft.
    Als er zwanzig Minuten später die Rechnung bezahlte, ertönte in der Ferne ein ungeheurer Knall. Der Typ auf dem Hocker neben ihm fragte: »Scheiße, was war das denn?«
    Ronnie hinterließ ein anständiges Trinkgeld, steckte das Wechselgeld ein und machte sich auf den Weg zu Donald Hatcooks Büro, das sich im siebenundachtzigsten Stock des Südturms des World Trade Center befand.
    Es war 8.47 Uhr an einem Dienstag – dem 11. September 2001.
    2
     
    OKTOBER 2007 Abby Dawson hatte die Wohnung ausgesucht, weil sie sich dort sicher fühlte. Sofern sie sich zurzeit überhaupt irgendwo sicher fühlen konnte.
    Es gab nur drei Eingänge: die Feuertreppe hinter dem Haus, die sich nur von innen betreten ließ, den Notausgang im Keller und die Haustür. Diese befand sich acht Stockwerke unter ihr, und die Fenster boten eine gute Sicht auf die Straße.
    Von innen hatte sie die Wohnung in eine Festung verwandelt. Verstärkte Scharniere, Stahlbeschläge, drei Riegelschlösser an der Haustür und am Notausgang des winzigen Abstellraumes, dazu eine doppelte Türkette. Der Einbrecher, der sich an dieser Wohnung versuchte, würde mit leeren Händen heimkehren. Man brauchte schon einen Panzer, um in die Wohnung zu gelangen.
    Für den alleräußersten Notfall hatte sie zudem eine Dose Pfefferspray, ein Jagdmesser und einen Baseballschläger in Reichweite.
    Es war schon paradox, dass sie nun, da sie sich zum ersten Mal im Leben eine Wohnung leisten konnte, die groß und luxuriös genug war, um Gäste zu empfangen, allein und im Verborgenen leben musste.
    Allerdings bot die Wohnung viele Annehmlichkeiten. Das Eichenparkett, die riesigen cremefarbenen Sofas mit den weißen und schokobraunen Kissen, die Bilder moderner Künstler an den Wänden, das Heimkino, die Hightech-Küche, die breiten und wahnsinnig bequemen Betten, die Fußbodenheizung im Bad und die schicke Gästedusche, die sie noch nicht benutzt hatte – jedenfalls nicht für den Zweck, für den sie gedacht war.
    Hier sah es aus wie in den Designerwohnungen, die sie in den Hochglanzmagazinen bewundert hatte. Bei schönem Wetter strömte die Nachmittagssonne durchs Fenster, und an windigen Tagen wie diesem schmeckte sie das Salz in der Luft und konnte die Schreie der Möwen hören. Es waren nur wenige hundert Meter bis zur Marine Parade, und dahinter lag der Strand, an dem sie kilometerweit in beide Richtungen wandern konnte.
    Das Viertel selbst gefiel ihr auch. In der Nähe gab es kleine Geschäfte, die sicherer waren als große Supermärkte, weil sie dort einen guten Überblick über die Kunden hatte. Es reichte schon, wenn einer sie erkannte.
    Ein einziger.
    Nur der Aufzug war ein Nachteil. Abby litt unter extremer Klaustrophobie und neigte in letzter Zeit verstärkt zu Panikattacken. Sie war nie gerne Aufzug gefahren, und die wacklige Kiste, die an einen aufrecht stehenden Sarg erinnerte und im letzten Monat gleich mehrfach stecken geblieben war – zum Glück nicht, als sie ihn benutzte –, war einer der schlimmsten überhaupt. Seit einigen Wochen musste sie ihn leider benutzen, da die Handwerker, die die Wohnung unter ihr renovierten, das Treppenhaus in einen Hindernisparcours verwandelt hatten.
    Normalerweise nahm sie die Treppe. Das hielt fit, und die schweren Einkaufstüten konnte sie allein im Aufzug nach oben schicken. Ihren Nachbarn begegnete sie selten, die meisten waren so alt, dass sie kaum das Haus verließen.
    Die wenigen jüngeren Bewohner, darunter Hassan, der lächelnde iranische Banker, der zwei Stockwerke unter ihr wohnte und manchmal die ganze Nacht durchfeierte – sie hatte seine Einladungen höflich abgelehnt –, schienen meist unterwegs zu sein. Wenn Hassan nicht gerade eine Party schmiss, war der Westflügel an den Wochenenden so still, als wohnten nur noch Geister darin.
    In gewisser Weise war auch sie ein Geist. Sie verließ ihren sicheren Bau erst nach Einbruch der Dunkelheit.
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