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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition)
Autoren: Julian Fellowes
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Grenzen. Ihr großer Ehrgeiz war es immer gewesen, ihre Tochter in die Gesellschaft einzuführen.
    Stella Lavery selbst hatte nie debütiert und schämte sich deswegen zutiefst. Sie versuchte immer, dieses Manko unter viel Gelächter und Hinweisen auf den Spaß zu verbergen, den sie als Mädchen gehabt habe; wenn man genauer nachhakte, seufzte sie, ihr Vater habe in den Dreißigerjahren einen finanziellen Absturz erlitten – und stellte so einen Zusammenhang zum Börsenkrach an der Wall Street her, mit fernen Anklängen an Scott Fitzgerald und Gatsby. Oder sie mauschelte ein bisschen mit den Daten und schob es auf den Krieg. In Wahrheit aber, wie es sich Mrs. Lavery im tiefsten Grund ihrer Seele eingestehen musste, war in den Fünfzigerjahren die Gesellschaft noch viel weniger durchlässig und die Demarkationslinie zwischen den Dazugehörenden und dem Rest noch viel schärfer gezogen. Stella Laverys Familie gehörte nun einmal nicht dazu. Auf ihre Freundinnen, die einander als Debütantinnen kennen gelernt hatten, empfand sie einen heftigen, geheimen Neid, der tief in ihr nagte. Sie hasste diese Freundinnen sogar dafür, wenn sie in gemeinsamen Erinnerungen an Prominente ihres Jahrgangs schwelgten, Erinnerungen zum Beispiel an Henrietta Tiarks, die spätere Gattin des Duke von Bedford, als glaubten sie, auch Stella Lavery habe mit ihnen debütiert, obwohl sie genau wussten, dass es nicht so war – und Stella wusste, dass sie es wussten. Aus diesen Gründen war Stella von Anfang an entschlossen, im Leben ihrer geliebten Edith niemals solche Blößen zuzulassen. (Der Name Edith war übrigens wegen seiner duftigen Beiklänge gewählt worden, die ein gemächlicheres, besseres England heraufbeschworen; vielleicht sollte er auch den Anschein erwecken, es handle sich um einen traditionellen Vornamen, der von einer schönen Vorfahrin innerhalb der Familie weitergereicht worden war. Dies entbehrte natürlich jeder Grundlage.) Jedenfalls sollte Edith von Anfang
an in den magischen Kreis hineinbefördert werden. Da in den Achtzigerjahren die Vorstellung bei Hofe (die ein Problem hätte darstellen können) längst der Vergangenheit angehörte, brauchte Mrs. Lavery lediglich ihren Mann und ihre Tochter zu überzeugen, dass die Zeit und das Geld, die in eine Debütantinnensaison investiert werden müssten, gut angelegt wären.
    Es bedurfte keiner großen Überredungskünste. Edith hatte keine konkreten Pläne, wie sie ihr Erwachsenendasein verbringen wollte, und den Entscheidungsprozess noch ein Jahr lang hinauszuzögern, in dem eine Einladung auf die andere folgen würde, fand sie eine sehr gute Idee. Mr. Lavery wiederum behagte die Vorstellung, seine Frau und seine Tochter in der beau monde zu sehen, und ließ dafür gern etwas springen. Mrs. Laverys sorgfältig gepflegte Beziehungen genügten, um Edith auf die Gästeliste von Peter Townsends Teegesellschaften zu Beginn der Saison zu setzen, und Ediths Schönheit tat ein Übriges, so dass sie als Model für die Berkeley-Modenschau im Dorchester-Hotel gewählt wurde, die die Saison traditionell eröffnet. Danach lief alles wie von selbst. Mrs. Lavery traf sich mit den anderen Müttern zum Lunch, packte die Kleider ihrer Tochter für die Bälle auf dem Land ein und genoss diese Zeit im Großen und Ganzen sehr. Auch Edith hatte viel Spaß dabei.
    Der einzige Wermutstropfen für Mrs. Lavery war, dass nach dem Ende der Saison, als die letzten Wohltätigkeitsbälle des Winters vorüber und alle Artikel aus dem Tatler samt zugehörigen Einladungen in ein Album geklebt waren, keine große Veränderung eintrat. Edith war bei mehreren Töchtern aus dem Hochadel zu Gast gewesen, sogar – besonders aufregend – auch im Haus eines Herzogs, und alle diese Mädchen waren auch bei Ediths eigener Cocktailparty im Claridge’s erschienen (einer der beglückendsten Abende, die Mrs. Lavery je erlebt hatte). Doch als die Tanzmusik verstummt war, hatte sich Edith nur mit solchen Mädchen dauerhaft angefreundet, wie sie sie schon von der Schule nach Hause gebracht hatte: mit Töchtern wohlhabender Geschäftsleute aus der oberen Mittelschicht. Was Edith ja auch selbst war. Das kam Mrs. Lavery ungerecht vor. Dass sie selbst die
schwindelerregenden oberen Stufen der Londoner Gesellschaft (die sie verschmitzt als »den Hof« bezeichnete) nicht erklimmen konnte, hatte sie darauf zurückgeführt, dass sie nie richtig als Debütantin in die Gesellschaft eingeführt worden war. Deshalb setzte sie hohe
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