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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition)
Autoren: Julian Fellowes
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wie ich, obwohl es auf seine Art eindrucksvoll war. Zumindest sehr groß. Der Architekt aus dem achtzehnten Jahrhundert schien ein Vorläufer Albert Speers gewesen zu sein. Der Hauptbau, ein riesiger Würfel aus Granitsteinen, war durch zwei gedrungene, klobige Säulengänge mit zwei kleineren Würfeln verbunden. Leider hatte im vorigen Jahrhundert ein Broughton die Fenster ihrer Sprossen beraubt und sie durch einfaches Tafelglas ersetzt, so dass sie nun wie blinde, leere Augen über den Park starrten. An den vier Ecken des Hauses ragten vier plumpe Kuppeln auf wie die Wachtürme eines Konzentrationslagers. Insgesamt fügte sich das Haus nicht in die Landschaft ein, sondern versperrte den Blick auf sie.
    Der Wagen kam auf dem knirschenden Kies sanft zum Stehen. »Erst das Haus oder erst der Garten?« Isabel war entschlossen, sich nichts entgehen zu lassen, wie ein sowjetischer Militärinspektor der Sechzigerjahre zu Besuch bei der NATO.
    Edith zuckte mit den Achseln. »Gibt es drinnen viel zu sehen?«
    »Das möchte ich meinen«, sagte Isabel entschieden und ging bereits
auf die Tür mit dem Schild »Eingang« zu, die sich zwischen die beiden Arme der hufeisenförmigen, zur Beletage hochführenden Freitreppe duckte. Schon hatte der Rustika-Granit Isabel verschluckt, und wir folgten ihr fügsam.
    Es sollte zu einer von Ediths Lieblingsgeschichten werden, dass sie Broughton zum ersten Mal als zahlender Gast zu Gesicht bekam, vom Privatleben der Bewohner durch ein rotes Absperrseil getrennt. »Nicht dass es in diesem Haus jemals viel Privatleben gegeben hätte«, bemerkte sie dann immer mit ihrem witzigen kurzen Auflachen. Es gibt Häuser, in denen die Persönlichkeit ihrer Bauherrn ganz stark spürbar ist, Häuser mit einem alles durchdringenden Geruch, den das Leben ihrer Bewohner hinterlassen hat; hier fühlt sich der Besucher halb als Einbrecher, halb als Geist, der an einem privaten Ort in verborgenen Geheimnissen herumspioniert. Broughton gehörte nicht dazu. Die gesamte Architektur war bis zum letzten Kamingitter, zur letzten Kreuzblume ausschließlich darauf angelegt, Fremde zu beeindrucken. Daher hatte sich die Rolle des Hauses bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts kaum verändert. Nur dass die Fremden jetzt Eintrittskarten kauften, anstatt der Wirtschafterin ein Trinkgeld zuzustecken.
    Die heutigen Besucher müssen sich allerdings länger gedulden, bis sie die Pracht der Prunkräume zu sehen bekommen. Die kalte, feuchte Halle, durch die wir das Haus betraten (die »Untere Eingangshalle«, wie wir später erfahren würden), empfing uns mit dem Charme eines verlassenen Stadions. An den Wänden reihten sich unbequeme Stühle für die Lakaien und beschworen die Vision endloser Stunden langweiligen Wartens herauf, die dort abgesessen worden waren; in der Mitte der verfärbten Steinfliesen stand ein langer schwarzer Tisch. Abgesehen von vier verstaubten Stadtansichten von Venedig, die lange nach Canaletto entstanden waren, gab es keine Bilder. Wie alle Räume in Broughton war die Halle von riesigen Ausmaßen, so dass wir drei uns wie Zwerge vorkamen.
    »Von weicher Verkaufsstrategie halten die jedenfalls nichts«, sagte Edith.
    Mit gezückten Führern erklommen wir von der unteren Eingangshalle aus die große Treppe mit geschnitztem Eichenholzgeländer, die sich um die gedrungene, eher bedrückende Bronzestatue eines sterbenden Sklaven nach oben zog. Dort überquerten wir den breiten Treppenabsatz und gelangten als Erstes in die Marmorhalle, einen weiten, zweigeschossigen Raum mit umlaufender Galerie, die als Geländer eine Balustrade hatte. Hätten wir die hufeisenförmige Freitreppe als Zugang benutzt, wäre diese bewusst einschüchternde Halle unser erster Eindruck des Hauses gewesen. Von hier aus gingen wir weiter in den Großen Saal, einen weiteren Riesenraum, diesmal mit Mahagonivertäfelungen, deren üppiges Schnitzwerk teilweise vergoldet war, und karminroten Velourstapeten.
    »Für mich bitte Hähnchen-Tikka«, sagte Edith.
    Ich lachte. Sie hatte völlig Recht: Der Raum sah aus wie ein überdimensionales indisches Restaurant.
    Isabel schlug den Führer auf und begann im Erdkundelehrerinnenton zu lesen: »Der Große Saal besitzt noch die Originaltapeten, die zu den Glanzlichtern der Innenausstattung von Broughton Hall gehören. Die vergoldeten Wandtischchen wurden 1739 von William Kent für diesen Raum angefertigt. Das Meeresmotiv in den Schnitzereien der hohen Spiegel nimmt Bezug auf die Berufung des
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