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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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Diversifikation. So überstanden die Koch-Werke die Rezession. Nicht ganz unbeschadet, aber gut.
    Schon immer hatte man gemunkelt, seine geschickte Hand werde von der noch geschickteren seiner Frau geführt. Als Edgar Senn 1965 mit sechzig an einem Herzinfarkt starb und das Unternehmen unbeirrt weiter gedieh, fanden sich viele in diesem Verdacht bestätigt. Heute waren die Koch-Werke ein gut ausbalancierter Mischkonzern, ein wenig Maschinen, ein wenig Textil, ein wenig Elektronik, ein wenig Chemie, ein wenig Energie. Sogar ein wenig Ökotechnik.
    Vor zehn Jahren, als Elvira verlauten ließ, es sei Zeit, den Jungen Platz zu machen, war sie ins »Stöckli« gezogen. Aber die Zügel, die sie laut Pressemeldung damals ihrem inzwischen dreiundfünfzigjährigen Stiefsohn Thomas übergeben hatte, hielt sie immer noch fest in der Hand. Sie blieb zwar nicht Mitglied des Verwaltungsrats, aber die Beschlüsse der Sitzungen, die regelmäßig bei ihr im »Stöckli« stattfanden, waren weitreichender und bindender als alles, was in diesem Gremium beschlossen wurde. Und das wollte sie so halten, bis Thomas’ Sohn Urs so weit war, ihre Rolle zu übernehmen. Thomas selbst gedachte sie zu überspringen. Aus Gründen, die mit seinem Charakter zu tun hatten.
    Sie nahm die Nachricht vom Totalschaden in Korfu mit der erwarteten Gelassenheit auf. Ein einziges Mal in ihrem Leben war sie dort gewesen – vor über zwanzig Jahren.
    »Wie sieht denn das aus, wenn ich ihn ins Gefängnis bringe?«
    »Sie bringen ihn nicht ins Gefängnis. Dafür ist die Justiz zuständig. Brandstiftung ist auch in Griechenland ein Offizialdelikt.«
    »Konrad Lang ist kein Brandstifter. Er wird nur etwas alt.«
    »Wenn Sie wollen, daß es als fahrlässige Brandstiftung gewertet wird, müssen wir zu seinen Gunsten aussagen.«
    »Und was machen sie dann mit ihm?«
    »Er wird zu einem Bußgeld verurteilt. Falls er es bezahlen kann, muß er nicht ins Gefängnis.«
    »Ich muß Sie nicht fragen, was Sie an meiner Stelle tun würden.«
    »Nein.«
    Elvira überlegte. Die Vorstellung, Konrad Lang tausendfünfhundert Kilometer weiter südlich sicher verwahrt zu wissen, war ihr nicht ganz unangenehm. »Wie sind die griechischen Gefängnisse?«
    »Mit ein paar Drachmen kann man es sich dort ganz erträglich einrichten, sagt Ioannis.«
    Elvira Senn lächelte. Sie war eine alte Frau, obwohl man es ihr nicht ansah. Sie hatte ihr Leben lang viel Zeit, Energie und Geld darauf verwendet, nicht alt zu werden. Sie hatte mit etwas über vierzig begonnen, in regelmäßigen Abständen kleine kosmetische Korrekturen vorzunehmen, vor allem im Gesicht. Das hatte ihr eine Zeitlang zwar etwas frühzeitig Guterhaltenes verliehen, aber inzwischen war sie achtundsiebzig und sah an guten Tagen aus wie keine Sechzig. Nicht nur dank dem Geld und der Chirurgie, auch die Natur hatte es gut mit ihr gemeint. Sie besaß ein rundes Puppengesicht und hatte sich daher nicht, wie andere Frauen, irgendwann zwischen Gesicht und Figur entscheiden müssen. Sie konnte es sich leisten, schlank zu bleiben. Sie war gesund, abgesehen von einer Diabetes (»Altersdiabetes« hatte es ihr Hausarzt ungalant genannt), wegen der sie sich seit einigen Jahren zweimal täglich aus einer Art Füllfeder ein Verzögerungsinsulin spritzen mußte. Sie hielt sich diszipliniert an ihre Diät, schwamm täglich, nahm Massagen und Lymphdrainagen, verbrachte zweimal im Jahr drei Wochen in einer Klinik auf Ischia und versuchte sich nicht zu ärgern, was ihr nicht immer leicht fiel.
    Schöller blieb am Ball. »Man kann Ihnen wirklich keinen Vorwurf machen, nach allem, was Sie für ihn getan haben. Nach diesem Vorfall bringen Sie ihn nirgendwo mehr unter. Oder können Sie jetzt noch die Verantwortung für ihn übernehmen?«
    »Es wird heißen, ich hätte ihn ins Gefängnis gebracht.«
    »Im Gegenteil. Man wird es Ihnen hoch anrechnen, daß Sie ihn nicht auf Schadensersatz verklagen. Niemand wird von Ihnen erwarten, daß Sie jemanden, der Ihnen eine Fünfmillionenvilla in Brand gesteckt hat, aus dem Gefängnis holen.«
    »Fünf Millionen?«
    »Der Versicherungswert liegt bei etwa vier.«
    »Wieviel hat sie uns gekostet?«
    »Etwa zwei. Plus etwa anderthalb, die Herr Koch letztes Jahr investiert hat.«
    »In die holländische Innenarchitektin?«
    Schöller nickte. »So günstig werden wir ihn nie mehr los.«
    »Was muß ich tun?«
    »Das ist ja das Angenehme: nichts.«
    »Dann tu ich es.«
    Elvira setzte ihre Lesebrille auf und wandte sich
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