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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter
Autoren: Mika Waltari
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meine Mutter mich an der Hand auf den Gemüsemarkt zu führen. Zwar hatte sie nicht viele Einkäufe zu besorgen, aber sie brauchte eines Wassermaßes Zeit, um ein Bündel Zwiebeln auszusuchen, und gar alle Morgen einer ganzen Woche, wenn es galt, neue Schuhe anzuschaffen. Aus ihrer Rede ließ sie verstehen, daß sie wohlhabend sei und nur das Beste haben wolle. Wenn sie nicht alles kaufte, was ihr Auge entzückte, so geschah es nur, um mich zur Sparsamkeit zu erziehen – so sagte sie wenigstens.
    »Nicht der ist reich, der Gold und Silber besitzt, sondern der ist reich, der sich mit wenigem begnügt«, belehrte sie mich, aber gleichzeitig bewunderten ihre armen alten Augen die hauchdünnen, federleichten, farbigen Wollstoffe aus Sidon und aus Byblos. Ihre braunen abgearbeiteten Hände strichen zärtlich über Straußenfedern und Elfenbeinschmuck. Alles das war Überfluß und Nichtigkeit – versicherte sie mir und zweifellos auch sich selbst. Aber mein kindlicher Sinn sträubte sich gegen diese Lehren, und ich hätte nur zu gerne die Meerkatze besessen, die den Arm um ihres Besitzers Hals geschlungen hielt, oder den bunten Vogel, der syrische und ägyptische Worte plapperte. Auch gegen Halsketten und vergoldete Sandalen hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Erst viel später erkannte ich, daß die arme alte Kipa unsäglich gerne reich gewesen wäre.
    Aber da sie nur die Frau eines Armenarztes war, stillte sie ihre Sehnsucht mit Märchen. Abends, vor dem Einschlafen, erzählte sie mir mit leiser Stimme alle Märchen, die sie kannte. Sie erzählte von Sinuhe und von dem Schiffbrüchigen, der mit unermeßlichen Reichtümern aus dem Reich des Schlangenkönigs wiederkehrte. Sie erzählte von Göttern und von bösen Geistern, von Zauberern und von früheren Pharaonen. Mein Vater murrte oft darüber und behauptete, sie säe Dummheiten und eitle Gedanken in meinen Sinn, doch kaum begann er nachts zu schnarchen, setzte meine Mutter ihre Erzählungen fort, gewiß nicht weniger zu ihrer eigenen Freude als zu meiner Unterhaltung. Noch entsinne ich mich jener schwülen Sommerabende, da das Bett den nackten Körper brannte und der Schlaf nicht kommen wollte; noch höre ich ihre leise, einschläfernde Stimme und fühle mich geborgen bei ihr. Meine eigene Mutter hätte mir kaum eine bessere und zärtlichere Mutter sein können als die schlichte, abergläubische Kipa, bei der die blinden und verkrüppelten Märchenerzähler stets einer guten Mahlzeit sicher sein dürften.
    Die Märchen ergötzten mich wohl, doch den Gegensatz dazu bildete die von unzähligen Düften und Gerüchen geschwängerte lebendige Straße, der Nistplatz der Fliegen. Bisweilen trug der Wind die berauschenden Düfte von Zedernholz und Myrrhe vom Hafen zu uns herauf; oder es geschah, daß wohlriechendes Öl aus einer Sänfte tröpfelte, wenn eine vornehme Dame sich herausbeugte, um die Straßenjungen auszuschelten. Abends, wenn das goldene Schiff Ammons den westlichen Bergen zusteuerte, stieg aus allen Veranden und Lehmhütten der Geruch der in Öl gebratenen Fische, vermischt mit dem Duft frischen Brotes. Diesen Geruch des Armenviertels von Theben lernte ich in meiner Kindheit lieben und habe ihn seitdem nie vergessen.
    Während der Mahlzeiten auf der Veranda erhielt ich auch die ersten Lehren aus dem Munde meines Vaters. Mit müden Schritten betrat er, den scharfen Geruch der Salben und Arzneien in den Kleidern, von der Straße her den Garten oder sein Empfangszimmer. Meine Mutter goß Wasser über seine Hände, und wir ließen uns auf Schemeln nieder, um zu essen, wobei uns die Mutter bediente. Da konnte es geschehen, daß eine lärmende Schar von Seeleuten auf der Straße vorübertobte, die in ihrem Bierrausch mit Stöcken auf die Hauswand trommelten oder innehielten, um unter unseren Akazienbüschen ihre Bedürfnisse zu verrichten. Mein Vater war ein vorsichtiger Mann und sagte nichts, bevor sie vorüber waren. Erst dann belehrte er mich:
    »Nur ein elender Neger oder ein schmutziger Syrer verrichtet seine Bedürfnisse im Freien. Ein Ägypter tut es innerhalb der Mauern.«
    Oder er sagte:
    »Der Wein ist eine Göttergabe, die, mäßig genossen, das Herz erfreut. Ein Becher schadet niemandem, zwei machen die Zunge gesprächig, doch wer einen ganzen Krug leert, erwacht beraubt und zerschlagen im Rinnstein.«
    Bisweilen drang ein Hauch wohlriechender Salben bis in die Veranda, wenn eine schöne Frau zu Fuß vorüberging, den Leib in durchsichtige Gewänder
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