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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter
Autoren: Mika Waltari
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Ebenso groß wie der Luxus, der Reichtum und der Prunk in den Tempeln und Palästen war die Armut außerhalb der Mauern. Mancher Arme setzte sein Kind aus, aber auch manche reiche Frau, deren Mann auf Reisen weilte, sandte den Beweis ihres Ehebruchs in einem Binsenboot den Strom hinunter. Vielleicht war ich von einer Seemannsfrau ausgesetzt worden, die ihren Mann mit einem syrischen Kaufmann betrogen hatte. Vielleicht war ich das Kind eines Fremdlings, da ich noch nicht beschnitten war. Nachdem meine Knabenlocke gefallen war und meine Mutter Kipa sie neben meinen ersten Sandalen in einem kleinen Holzschrein geborgen hatte, betrachtete ich lange das Binsenboot, das sie mir zeigte. Die Halme waren vergilbt, brüchig und geschwärzt vom Rauch des Kohlenbeckens. Es war mit den Knoten eines Vogelfängers zusammengebunden: mehr als das vermochte es über meine Eltern nicht zu berichten. So empfing mein Herz seine erste Wunde.

    3

    Wenn das Alter naht, flieht die Seele wie ein Vogel zurück zu den Tagen der Kindheit. Licht und klar leuchtet die Jugendzeit in meinem Alter, als wäre damals alles besser und schöner gewesen als in der heutigen Welt. Darin gibt es wohl keinen Unterschied zwischen Armen und Reichen, denn sicherlich ist kein Mensch so arm, daß er in seiner Kindheit nicht einen Schimmer Licht und Freude entdeckte, wenn er im Alter ihrer gedenkt.
    Mein Vater Senmut wohnte stromaufwärts von den Tempelmauern, in einem lärmerfüllten, armseligen Stadtteil. In der Nähe seines Hauses lagen die großen, steinernen Uferkais des oberen Stromes, wo die Nilboote ihre Ladung löschten. An den schmalen Gassen gab es Bier- und Weinstuben für Seefahrer und Kaufleute sowie Freudenhäuser, in die auch die Reichen aus der Innenstadt in ihren Sänften kamen. Unsere Nachbarn waren Steuererheber, Unteroffiziere, Prahmführer und einige Priester fünften Grades. Sie bildeten mit meinem Vater den angesehensten Bevölkerungsteil des Armenviertels, wie eine Mauer, die über eine Wasserfläche ragt.
    So war auch unser Haus groß und geräumig, im Vergleich zu den Lehmhütten der Ärmsten, die, Wand an Wand, in trostlosen Reihen die engen Gassen säumten. Vor unserem Haus lag sogar ein wenige Schritt breiter Garten, in dem eine von meinem Vater gepflanzte Sykomore wuchs. Akazienbüsche trennten den Garten von der Straße, und als Teich diente ein steinernes Becken, das allerdings nur zur Zeit der Überschwemmung Wasser enthielt. Im Haus selbst gab es vier Räume. In einem davon bereitete meine Mutter das Essen. Die Mahlzeiten nahmen wir auf einer Veranda ein, aus der man auch in meines Vaters Sprechzimmer gelangte. Zweimal wöchentlich hielt meine Mutter eine Scheuerfrau, denn sie liebte Reinlichkeit, und einmal in der Woche wusch eine Wäscherin unsere Kleider an ihrem Uferplatz.
    In diesem armen, unruhigen, immer mehr von Fremden überfluteten Viertel, dessen Verderbnis ich erst als Jüngling recht erkannte, bewahrten mein Vater und seine Nachbarn die Überlieferung und die althergebrachten, ehrenwerten Sitten. Nachdem der Sittenverfall unter den Reichen und Vornehmen der eigentlichen Stadt bereits begonnen hatte, vertraten er und seine Volksschicht immer noch fest und unerschütterlich das alte Ägypten, bewahrten sich die Ehrfurcht vor den Göttern, die Reinheit und Selbstlosigkeit des Herzens. Es war, als hätten sie im Widerspruch zu ihrem Viertel und zu den Menschen, unter denen sie leben und ihren Beruf ausüben mußten, durch ihre Sitten und ihr Auftreten betonen wollen, daß sie nicht zu ihnen gehörten.
    Doch warum soll ich Dinge erzählen, die ich erst später begriff? Warum sollte ich nicht lieber des Rauschens im Laube der Sykomore gedenken, an deren rauhem Stamme ruhend ich Schutz gegen die sengende Sonnenhitze fand? Warum sollte ich nicht meines liebsten Spielzeuges gedenken, eines hölzernen Krokodils, das ich an einer Schnur über das Straßenpflaster zog und das mir mit klappernden Holzkiefern und aufgesperrtem, rotgestrichenem Rachen folgte? Staunend versammelten sich die Nachbarkinder, um es zu betrachten. Viele Honigsüßigkeiten, auch manch glänzenden Stein und manchen Kupferdraht verschaffte ich mir, indem ich anderen gestattete, das Tier hinter sich her zu ziehen oder damit zu spielen. Solches Spielzeug besaßen nur die Kinder der Vornehmen, aber mein Vater hatte es vom königlichen Schreiner erhalten, den er durch Umschläge von einem Geschwür geheilt hatte, das ihn am Sitzen hinderte.
    Morgens pflegte
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