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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition)
Autoren: Robert Jackson Bennett
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über ihn gehört. Zum Beispiel, dass seine Truppe aus einer Horde Zigeuner bestünde, die aus dem Ausland gekommen seien. Man sagt, er würde die Theater des Circuits ganz nach seinem Gutdünken besuchen. Und dass er schon Vaudevillekünstler war, ehe es Vaudeville überhaupt gegeben hat.«
    »Haben Sie auch gehört, dass jedes Hotel ein Separee für ihn reserviert?«, fragte George. »Das ist ein ziemlich bekanntes Gerücht.«
    »Nein, das habe ich noch nicht gehört. Aber ich frage mich, warum du so an diesem Mann interessiert bist.«
    George dachte darüber nach. Dann griff er gemächlich in seine Brusttasche und holte ein Stück Papier hervor. Zwar waren die Ecken im Lauf der Zeit weich und rund geworden, doch hatte er es sorgsam verwahrt: Das Papier war säuberlich gefaltet und mit einem Stück Schnur zusammengebunden worden, so, als handele es sich um eine wichtige Botschaft. George zupfte an der Schlinge und löste die Schnur, ehe er das Stück Papier mit dem feierlichen Ernst eines Priesters, der ein heiliges Dokument abrollt, auseinanderfaltete.
    Es war – zumindest früher einmal – eine Theaterkarte. Nach den wenigen gebotenen Darbietungen und dem einfachen, schludrigen Druckbild zu urteilen, stammte sie von einem sehr kleinen Theater, unbedeutender noch als das Otterman’s. Dennoch nahm eine große, eindrucksvolle Illustration die Hälfte einer Seite ein, und wenngleich die Tinte stellenweise stark verblasst war, konnte man doch sehen, dass die Illustration einen kleinen, stämmigen Mann mit Zylinder in der Mitte einer Bühne darstellte, gebadet in dem reinen, klaren Licht der Scheinwerfer. Seine Hände hatte er in extrem theatralischer Geste dem Publikum entgegengereckt, als wäre er gerade dabei, den Zuschauern die packendste Geschichte der Welt vorzutragen. Unter dem Bild standen in einer verschnörkelten Schrift, die man in diesem kleinen Theater wohl als schick erachtet hatte, die Worte: DIE SILENUS-TRUPPE.
    George berührte die Illustration ehrfürchtig; es schien, als würde er am liebsten hineintauchen, um sich die Geschichte anzuhören, die der Mann erzählte. »Das habe ich aus meiner Heimatstadt«, sagte er. »Dort war er auch einmal, aber ich bin nicht hingegangen.« Dann sah er Irina mit eigentümlich glänzenden Augen an und fragte: »An was können Sie sich erinnern von damals, als er hier war?«
    »An was ich mich erinnere?«
    »Ja. Sie müssen mit ihm geprobt haben, als er hier aufgetreten ist, nicht wahr? Sie müssen seinen Auftritt gesehen haben. Also, an was erinnern Sie sich?«
    »Jeder weiß doch, woraus seine Vorstellung besteht, oder? Warum fragst du dann mich?«
    Aber George antwortete nicht. Er beobachtete sie nur aufmerksam.
    Sie ächzte. »Also gut, lass mich nachdenken. Es ist schon so lange her …« Sie nahm einen kontemplativen Zug von ihrer Zigarette. »Es waren vier Darbietungen, das weiß ich noch. Das war merkwürdig. Heutzutage reist niemand mit mehr als einer Nummer an. Das war es auch, was Van Hoever so aufgeregt hat.«
    George beugte sich vor. »Was sonst?«
    »Ich erinnere mich … ich erinnere mich an einen Mann mit Marionetten, der gleich zu Beginn aufgetreten ist. Aber das waren keine lustigen Puppen. Und dann war da eine Tänzerin und eine … eine starke Frau. Moment, nein. Das war auch eine Marionette, oder nicht? Ich glaube, es könnte eine gewesen sein. Und dann war da noch eine vierte Nummer, und sie … sie …« Sie verstummte verwirrt.
    »Sie erinnern sich nicht«, stellte George fest.
    »Natürlich erinnere ich mich«, widersprach Irina. »Zumindest glaube ich, dass ich mich erinnere … ich erinnere mich an jede Nummer, für die ich je gespielt habe, aber diese … Vielleicht irre ich mich. Ich hätte schwören können, dass ich bei dieser Nummer gespielt habe. Aber habe ich das wirklich?«
    »Das haben Sie.«
    »So? Wieso bist du da so sicher?«
    »Ich habe auch mit anderen Leuten gesprochen, die seine Vorstellung gesehen haben, Irina«, sagte er. »Mit Dutzenden. Und sie sagen alle das Gleiche. Sie erinnern sich vage an die ersten drei Nummern – die Marionetten, die Tänzerin in Weiß und die starke Frau –, aber nicht an die vierte. Und wenn sie versuchen, sie sich ins Gedächtnis zu rufen, fragen sie sich hinterher alle, ob sie die Vorstellung wirklich gesehen haben. Das ist so seltsam. Jeder hat von der Vorstellung gehört und viele haben sie besucht, aber niemand kann sich daran erinnern, was er gesehen hat.«
    Irina rieb sich die
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