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Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen

Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen

Titel: Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
Autoren: James Rollins
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unwiederbringlich verloren.
    Der Wagen rumpelte über die Straße und kam an weiteren Feldern vorbei: Gerste, Hafer, Bohnen und in Reihen angeordnetes Gemüse. Einige Felder waren erst kürzlich abgeerntet worden, andere sahen aus, als hätte man sie abgefackelt.
    Hatten die Dorfbewohner vielleicht die Wahrheit geahnt?
    Während der Wagen weiter ins Tal hinunterfuhr, tauchten Schafpferche auf, gesäumt von hohen Hecken, die den Schrecken verbargen. Auf den verwilderten Wiesen verwesten die aufgeblähten Kadaver Hunderter Schafe. Näher am Dorf sah man auch Schweine und Ziegen, die mit leeren Augenhöhlen dort lagen, wo sie tot umgefallen waren. Auf einem Feld war ein großer Ochse zusammengebrochen, der noch an einem Pflock angebunden war.
    Als der Wagen am Dorfanger anlangte, blieb es still. Kein Hundegebell begrüßte sie, kein Hühnergegacker, kein Eselsgeschrei. Die Kirchenglocke läutete nicht, und niemand rief die Fremden an, die ins Dorf gekommen waren.
    Eine tiefe Stille lastete über dem Ort.
    Wie sie bald herausfinden sollten, lagen die meisten Toten in ihren Häusern. Am Ende waren sie zu schwach gewesen, um ins Freie zu gehen. Ein Leichnam aber lag bäuchlings auf
dem Anger, nicht weit von der Steintreppe des Gutshauses. Der Mann machte den Eindruck, als sei er eben erst auf den Stufen ins Stolpern geraten und habe sich den Hals gebrochen. Vom hohen Wagensitz aus entging Martin jedoch nicht, wie sich die Haut über den Knochen spannte, die eingesunkenen Augenhöhlen und die Schlaffheit der Gliedmaßen.
    Der Tote war ebenso ausgemergelt wie die Tiere auf der Weide. Man hätte meinen können, das ganze Dorf sei belagert und ausgehungert worden.
    Hufgetrappel näherte sich. Reginald zügelte sein Pferd neben dem Wagen. »Die Kornspeicher sind gefüllt«, sagte er und wischte sich die staubigen Hände an der Hose ab. Der große, mit Narben bedeckte Mann hatte mehrere Feldzüge König Williams im Norden Frankreichs geleitet. »In den Speichern haben wir auch Ratten und Mäuse gefunden.«
    Martin sah ihn fragend an.
    »Ebenso tot wie alles andere. Genau wie auf der verfluchten Insel.«
    Das war der Grund, weshalb man sie hierher entsandt hatte, weshalb die Dorfstraße gesperrt war und sie feierlich Stillschweigen gelobt hatten.
    »Girard hat einen gut erhaltenen Toten gefunden«, sagte Reginald. »Frischer als die meisten. Ein Junge. Er hat ihn in die Schmiede gebracht.« Er deutete auf einen Holzschuppen mit Bruchsteinkamin.
    Martin nickte und kletterte vom Wagen. Er musste sich Gewissheit verschaffen, und das war nur auf eine einzige Weise möglich. Als königlicher Coroner hatte er die Pflicht, den Toten die Wahrheit zu entreißen. Die blutigste Arbeit würde er jedoch dem französischen Feldscher überlassen.
    Martin ging zum Tor der Schmiede. Drinnen hockte Girard vor der kalten Esse. Der Franzose hatte in König Williams Armee gedient, den Verwundeten die zerschmetterten Gliedmaßen
abgesägt und sich bemüht, den Soldaten das Leben zu retten.
    Girard hatte in der Mitte der Schmiede einen Tisch freigeräumt, den Jungen entkleidet und auf dem Tisch festgebunden. Martin musterte die blasse, ausgemergelte Gestalt. Sein eigener Sohn war ungefähr im gleichen Alter, doch dieser Junge wirkte viel älter als acht oder neun Jahre, aufgrund der Todesumstände irgendwie verhutzelt.
    Während Girard die Messer bereitlegte, untersuchte Martin den Jungen. Er zwickte ihn und stellte fest, dass der Haut die Fettschicht fehlte. Er untersuchte die rissigen Lippen, die schuppigen Stellen am Kopf, wo das Haar ausgefallen war, die geschwollenen Knöchel und Füße; vor allem aber fuhr er mit der Hand über die vorstehenden Knochen, als läse er eine Landkarte mit den Fingern: Rippen, Kiefer, Augenhöhle, Schambein.
    Was war geschehen?
    Martin wusste, dass die eigentlichen Antworten sehr viel tiefer lagen.
    Girard näherte sich dem Tisch mit einem langen Silbermesser. »Soll ich beginnen, Monsieur?«
    Martin nickte.
    Eine Viertelstunde später glich der Leichnam des Jungen einem ausgeweideten Schwein. Der Arzt hatte die Haut von der Leistengegend bis zum Schlund aufgespreizt und am Holztisch festgenagelt. Die Eingeweide ruhten fest gepackt in der blutigen Körperhöhle, aufgebläht und rosig. Die bräunlich-gelbe Leber war unter den Rippen stark angeschwollen, viel zu groß für ein Kind, das nur noch Haut und Knochen war.
    Girard griff in die kalte Bauchhöhle.
    Martin fasste sich an die Stirn und bat mit einem stummen
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