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Sieg des Herzens

Sieg des Herzens

Titel: Sieg des Herzens
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hieronymus in den Garten zu dem gefährdeten Opfer Luzifers, nicht ohne vorher von der Wand eine wohlgefüllte Weihrauchkapsel zu reißen.
    Der Abt sah den spielenden Jungen, stürzte auf ihn zu, hob die Weihrauchkapsel und schwenkte sie wild um den Kopf des Kleinen, der, eingehüllt in Rauchschwaden, erstaunt und ängstlich die beiden Sittenverfechter anstarrte.
    »Hinweg, Teufel der Fleischeslust!« rief der Abt, und der Mesner, der von dem Vorfall auch schon Mitteilung erhalten hatte, läutete Sturm mit der kleinen Glocke auf dem Dach. Bald waren der Kreuzgang und der Garten angefüllt mit betenden Mönchen, die murmelnd und singend mit dem Satan um eine zehnjährige Seele rangen. Schweißtriefend hörte der Abt endlich auf, die Kapsel zu schwingen, und packte den Kleinen am Arm, um ihn in eine Zelle zu schleifen. Dort mußte als erstes eine Beichte abgelegt werden.
    Der Vogel aber, ein Buchfink (nebenbei erwähnt: ein Männchen), erhob sich pfeifend von dem Ast und entflog dem Klostergarten, da er Weihrauch in solchen Schwaden nicht vertragen konnte.
    Das also war Sittsamkeit. Und weil damit verbunden war, daß sich der Junge auch noch kasteien mußte, prägte sich ihm dieser Vorfall ganz tief ein.
    Zuerst dachte er, er brauche nur zu sagen, er sehe sein Unrecht ein, das genüge. Zwar wußte er nicht, welches Unrecht er begangen haben sollte, aber das spielte keine Rolle. Der Abt, in seiner gehobenen Heiligkeit, wollte an ihm die Rückeroberung einer verirrten Seele für Gott durchexerzieren.
    »Flehe zu Gott, daß er dir vergibt, was deine Schwäche verbrach«, ermahnte er sorgenvoll das Kind und rollte voller Gottesfurcht die Augen.
    Und der Zehnjährige betete drei Stunden lang, immer dazu angetrieben von dem ausdauernden Abt, der abwechselnd Schluchzen, Jammern, tiefe Reue, Weinen und Knierutschen befahl und endlich feierlich erklärte: »Gott hat vergeben, was deine Schwäche verbrach.«
    Froh nickte der Knabe und wollte sich erheben. Doch der Abt sprang hinzu, entsetzt, erzürnt über soviel Verderbtheit, und drückte ihn wieder auf die Knie.
    »Ist auch die Sünde der Seele dir vergeben, so mußt du dein Fleisch noch von den Gelüsten reinigen«, sagte er.
    »Von welchen Gelüsten?« fragte kindlich der Knabe und setzte hinzu: »Herr, was sind denn Gelüste?«
    »Verstocktes Herz!« schrie der Abt, außer sich ob dieser Frage. »Geißle dein Fleisch und reinige dich!«
    Und damit drückte er ihm eine kleine Rutengeißel in die schmale Faust.
    Und also geißelte der Zehnjährige sein Fleisch und reinigte sich. Von der Kinderhand geführt, pfiff die Rute. Die Schläge klatschten auf den zuckenden Körper, und wenn auch die Tränen unaufhörlich über die Wangen des Knaben rollten, sein kleiner Mund blieb stumm und klagte nicht.
    »Kräftiger, rascher – so büßt man keine Sünden!« trieb der feiste Abt den Gemarterten zur Eile an, denn der Abend nahte, und beim Einbruch der Dunkelheit mußte er am Pförtchen sein, um sein derzeitiges ›Gefäß der Sünde‹ hereinzulassen, ein blondes Gefäß, das aus Gründen höchster gegenseitiger Leistungsfähigkeit, die erwünscht war, eine Vorliebe für priesterliche Bettstellen entwickelt hatte.
    Endlich schien die Schuld gesühnt zu sein, und der Knabe durfte zurück in seine Zelle. Trotz der erlittenen Qualen verspürte er bald Hunger und wollte etwas essen. Postwendend jedoch wurde ihm mitgeteilt, daß er noch einige Zeit zu fasten habe, um sich vollends zu reinigen.
    Unter solchen Begleitumständen begann sich langsam, aber stetig seine Erkenntnis zu festigen, daß dieses Kloster nicht eine Anstalt war, in der sein Geist geschult wurde. Was hätte er aber dagegen tun können? Nichts.
    Vier lange Jahre vergingen.
    Der Abt starb an einem Herzschlag, als eines Nachts eine Rothaarige überhaupt nicht mehr zufriedenzustellen war, und er wurde mit allen kirchlichen Ehren und Weihen in die Erde des Klosterfriedhofes gesenkt. Pater Hieronymus sprach schluchzend ein Gebet, das in den Worten gipfelte: »Nie warst du der Sünde ergeben. Ein Herzschlag riß dich aus unserer Mitte, als dich nachts der Schlaf geflohen und du zur Bibel gegriffen hattest. Der Herr sei mit dir.«
    Pater Hieronymus wurde zum Abt gewählt und legte sein Augenmerk verschärft auf den inzwischen vierzehn Jahre alt gewordenen Sohn des Handelsherrn. Natürlich behagte dies dem heranwachsenden Jugendlichen immer weniger, wenn er es auch noch nicht wagte, offen sein Mißfallen zum Ausdruck zu
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