Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieg des Herzens

Sieg des Herzens

Titel: Sieg des Herzens
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
letztes Werk, ein kleines Gedicht. Ungelenk waren die Verse, nicht durchglüht von Dichterfeuer oder Poetenkunst. Schlicht, ja simpel fast muteten sie an, doch in ihnen wohnten die Wahrheit, die Erkenntnis, der Stolz und die Warnung.
    MEINEM LIEBEN SOHN FÜRS LEBEN schrieb der Vater als Kopf auf das Pergament, und dann den Titel DER ERSTE SCHRITT INS LEBEN.
    Schließlich verfaßte er die Verse aus dem Gefühl, welches mit dem Geist sich paarte. Nicht ein Dichter war er, wie gesagt, o nein, sondern ein gewöhnlicher Vater wie jeder, gleichgültig ob Handelsherr oder Knecht, der sich müht, unter mehr oder minder großen Schwierigkeiten solche Zeilen für seinen Sohn zu Papier zu bringen:
    Das Kind wird geboren, gehegt und gepflegt,
dem Übel des Lebens scheu verborgen.
Doch die Zeit der Jugend ist schnell verweht,
und das Tor des Daseins öffnet die Sorgen.
    Wie schön war das ungebundene Leben,
wie leuchtete hell der Sonnenschein,
wie lockten goldgelb die vollen Reben,
wie war das Gemüt so leicht und so rein.
    Wenn der Himmel lachte, so lachtest auch du,
das Herz wollt' vor Freude zerspringen.
Jetzt zieht das Leben den Vorhang zu,
in der Ferne nur hörst du die Kindheit klingen.
    Es packt dich der Alltag, der Ernst des Bestehens,
er zieht dich mit sich immerfort.
O Jugend, o Herz, kannst du's verstehen,
daß das Leben dich fortriß vom liebenden Ort?
    Vom Ort, wo die Seele gelacht und gesungen,
wo die ersten Schritte du einst gelernt,
wo die Welt dir in süßen Tönen geklungen,
wo der Geist stand abseits vom rufenden Ernst?
    Oh, die ersten Schritte, sie schienen schwer,
auf kleinen Beinen stolpert der Wicht,
sind die ersten Schritte des Lebens nicht mehr,
viel mehr als ein bloßes Gleichgewicht?
    Der Vater blickte auf, dehnte und streckte sich wie nach einer Befreiung von quälenden Fesseln. Das Dichten war ihm schwergefallen, war er doch ein Mensch, der nicht den Versen seine Seele schenkte, sondern nur den Handelsbüchern, den Zahlen, den Rechnungen, die er ausstellte. Von diesen lebte für ihn jede Ziffer, jede Summe, denn in ihnen spiegelten sich der Fleiß der Arbeit und die krönende Frucht der eigenen Tatkraft wider.
    Plötzlich sah er seinen kleinen Sohn, der mit den Armen mühsam das Gleichgewicht hielt, heranwackeln und hörte ihn lallen: »Papa … Papa …«
    Er nahm ihn in seine Arme, küßte ihn, drückte ihn an die Brust, so fest, daß der Kleine einen quiekenden Laut von sich gab, küßte ihn immer wieder, hob ihn dann mit gestreckten Armen hoch über seinen Kopf und rief: »Sieh, sieh, das Haus, der Garten, die Faktorei, die Schiffe auf dem Fluß, alles, alles gehört einmal dir, alles!«
    Und dann blickte er auf das Gedicht, das er geschrieben hatte, und setzte leiser hinzu: »Und das beherzige immer, mein Sohn, geh mit dir sparsam um im Leben. Aus vielem Kleinem wächst ein Berg. Sei wachsam, halte die Augen offen, sei schnell mit der Hand, damit sie nicht zu spät kommt und ins Leere greift. Merk dir das.«
    Er setzte den Kleinen ab, blickte zum Kruzifix an der Wand und murmelte: »O Gott, hilf mir, aus ihm einen richtigen Kämpfer fürs Leben zu machen.«
    Und der Sohn lachte und streckte die Ärmchen nach dem Vater aus. Er wollte noch einmal hochgenommen werden, denn es hatte ihm gefallen in dieser luftigen Höhe.
    Doch unaufhaltsam eilt die Zeit.
    Dem Kleinen blieben Geschwister versagt. Seine Geburt hatte nämlich Folgen bei der Mutter, sie hinterließ ihr einen stillen Krankheitsherd, der es ihr auferlegte, die Sehnsucht nach weiteren Kindern zu begraben. Das Resultat war, daß auf den einzigen Sohn von den Eltern die ganze Liebe gehäuft wurde und sie ihm jeden Wunsch, der ihm von den Augen abzulesen war, sofort erfüllten. Ob das gut war, stand auf einem anderen Blatt.
    Bald fing der Knabe an, sich von Altersgenossen ganz wesentlich zu unterscheiden. Wenn andere mit Bleisoldaten spielten oder auf Holzpferden herumritten, wenn sie Trommeln schlugen und kleine Schwerter schwangen, saß er am liebsten allein im Garten, inmitten der Farbenpracht der Blumen, roch an diesen, beobachtete den Flug der Bienen und Schmetterlinge, wandte seine Aufmerksamkeit der Betriebsamkeit der emsigen Ameisen zu, ließ sich keinen großen und kleinen Käfer entgehen und lauschte lächelnd, im Grase liegend, dem Zirpen einer Grille.
    Die Eltern wußten diese Interessen nicht recht zu deuten. Sie meinten, der Knabe sei schwächlich, für sein Alter nicht genug entwickelt, und sogar der Hausarzt riet dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher