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Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano

Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano

Titel: Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano
Autoren: Kai Meyer
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die Sonne den höchsten Punkt überschritten hatte. Professor Rabenson trank ein großes Glas Rotwein – einheimischen Chianti – dann machten sie sich wieder auf den Rückweg.
    Im Jeep erzählte Nils den anderen eine seiner berühmt-berüchtigten Gruselgeschichten. Er tat das mit größter Begeisterung, und immer behauptete er, sie hätten sich genau so zugetragen.
    »Es gab da mal ein Mädchen, das studierte irgendwo an einer großen Universität«, begann er. »Sie war die Schwester eines Typs, den ich aus der Schule kenne. Oder vielleicht auch seine Kusine … ist ja auch egal. Auf jeden Fall wohnte sie in einem dieser Studentenheime, ihr wisst schon, wo Jungen und Mädchen in Doppelzimmern hausen, die Jungs in einem Stockwerk und die Mädchen in einem anderen. Die Geschichte hat sich letztes Jahr zu Ostern abgespielt.«
    Nils holte tief Luft, dann fuhr er fort: »Fast alle, die in diesem Wohnheim lebten, fuhren über die Feiertage nach Hause. Nur das Mädchen und ihre Zimmergenossin blieben dort. Sie wollten irgendeinen Vortrag vorbereiten, den sie gleich nach Ostern halten sollten, und so hatten sie das ganze Wohnheim für sich allein. Als es Abend wurde, beschloss die Freundin, ins Kino zu gehen – sie hatte genug von all den Büchern, die sie den Tag über gewälzt hatte. Das Mädchen aber wollte nicht mitkommen. Als ihre Freundin fortging, warnte das Mädchen sie, sie solle vorsichtig sein. Schließlich wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass sich irgendwelche Spinner in dem ausgestorbenen Wohnheim herumgetrieben hätten. Sogar ein Mörder hatte hier vor Jahren schon Zuflucht gesucht. Die Freundin aber lachte nur und meinte, das Mädchen solle sich keine Sorgen machen. Und so wurde es Nacht.«
    Erneut machte Nils eine Pause und beobachtete die Gesichter seiner Freunde. Zufrieden stellte er fest, dass seine Geschichte die anderen in ihren Bann gezogen hatte.
    »Kurz nach Mitternacht erwachte das Mädchen von seltsamen Geräuschen. Schlurfende Schritte ertönten draußen auf dem Gang, dazu ein leises Stöhnen. Es war stockdunkel im Zimmer, nur durch den Türschlitz fiel das Flimmern der Notbeleuchtung vom Korridor. Das Mädchen bekam panische Angst. Die Schritte stoppten vor der Tür des Zimmers – und im gleichen Augenblick fiel dem Mädchen ein, dass es die Tür nicht abgeschlossen hatte! Es sprang auf und wollte den Schlüssel herumdrehen, doch da wurde die Tür schon einen Spalt weit geöffnet. Das grauenvolle Stöhnen wurde lauter, immer lauter, und das Mädchen stolperte rückwärts. Völlig verängstigt schloss es sich im Wandschrank ein. Die Schritte kamen näher, das Mädchen konnte sie ganz genau hören. Ja, sie kamen genau auf den Schrank zu! Und dann begann … es!«
    »Was?«, brüllten die anderen im Chor.
    Nils fletschte die Zähne zu einem teuflischen Grinsen. »Das Kratzen! Das Kratzen von langen Fingernägeln an der Schranktür!«
    »Uuuh!«, machte Chris mit dunkler Grabesstimme und legte die Hände um Lisas Hals, als ob er sie würgen wollte. Nach außen hin tat sie erschrocken, aber insgeheim genoss sie die Berührung.
    »Das schreckliche Kratzen und Stöhnen ging weiter bis zum frühen Morgen. Das Mädchen wurde fast wahnsinnig in seinem Versteck. Es betete, bis es hell wurde, und dankte dem lieben Gott dafür, dass der Schrank ein Schloss hatte. Was immer dort draußen für ein Ding war, es konnte nicht zu ihr herein! Dann, als die Sonne aufging, verstummte das Kratzen endlich. Licht fiel ins Zimmer, und das Mädchen beschloss, den Schrank zu verlassen. Doch das, was draußen gekratzt und gestöhnt hatte, war keineswegs fort!«
    »Was war es?«
    »Ein Irrer?«
    »Ein Mädchenmörder?«
    Nils grinste noch breiter. »Es war ihre Freundin. Oder besser: die Leiche ihrer Freundin! Irgendein Kerl hatte sie in der Nacht entsetzlich zugerichtet, und sie hatte sich mit letzter Kraft zurück aufs Zimmer geschleppt. Und während sich das Mädchen ängstlich im Schrank versteckte, hatte die Freundin Hilfe suchend an der Tür gekratzt, unfähig zu sprechen. Und genau so lag sie am Morgen da.«
    Schweigen. Sogar Professor Rabenson hatte den Fuß vom Gaspedal genommen. Alle waren mächtig beeindruckt.
    Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sagte Nils: »Und ich schwöre, genau so ist es wirklich passiert. Beim Leben meines Lieblingshamsters!«
    Das sagte er immer, und meist war das der erlösende Augenblick, in dem die anderen in Gelächter oder in Ooohs und Aaahs ausbrachen.
    Lisa kicherte
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