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Sieben

Sieben

Titel: Sieben
Autoren: Mark Frost
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Schatten am Fenster bemerkt. Einmal hatte sich die Gardine bewegt, eine Hand war erschienen, und ein dunkles Männergesicht, das nur schemenhaft zu erkennen gewesen war, hatte einen Blick auf die Straße geworfen und sich dann zurückgezogen.
    Um 7.20 Uhr ging eine in schwarze, verschlissene Umhängetücher gehüllte Gestalt durch die Straße, stieg die Treppe hinauf, klopfte methodisch dreimal an, wartete und klopfte ein viertes Mal. Größe: knapp über einen Meter fünfzig. Gewicht: etwa neunzig Kilo. Kopf und Gesicht gegen die Kälte verhüllt. Knopfstiefel mit Absatz. Eine Frau. Doyle hob das Fernglas vors Auge. Das Schuhwerk war neu. Die Tür öffnete sich, die Gestalt trat ein. Doyle konnte weder das Innere des Hausflurs noch denjenigen erkennen, der sie einließ.
    Fünf Minuten später lief ein Junge in sein Blickfeld und eilte geradewegs zur Tür, wo sich das gleiche Klopfritual wiederholte. Es war ein schäbig gekleideter Straßenbengel, der ein sperriges, unregelmäßig geformtes Bündel trug, das in Zeitungspapier eingeschlagen und verschnürt war. Bevor Doyle das Fernglas genauer auf das Bündel richten konnte, war der Junge im Haus verschwunden.
    Zwischen 7.40 und 7.50 Uhr trafen zwei Paare ein. Das erste kam zu Fuß. Arbeiterklasse. Sie: blaß, hochschwanger. Er: grobschlächtig, für schwere körperliche Arbeit wie geschaffen. Er fühlte sich sichtlich unwohl in den Kleidern, von denen Doyle annahm, daß es seine besten waren. Auch sie bedienten sich des Klopfzeichens. Doyle beobachtete durch das Fernglas, daß der Mann die Frau während des Wartens schikanierte. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, sie wirkte besiegt, wahrscheinlich war sie immer so. Er konnte nicht genau erkennen, was der Mann sagte; der Versuch, von seinen Lippen zu lesen, erbrachte die Worte
Dennis
und
Schwatz.
Schwatz? Sie traten ein. Die Tür wurde geschlossen.
    Das zweite Paar kam per Kutsche. Keine gemietete, eine private. Dunkles Leder, eiserne Felgen, gezogen von einem ansehnlichen Kastanienbraunen. Nach dem dicken Schaum zu urteilen, der das Roß bedeckte, waren sie mit hoher Geschwindigkeit und etwa eine Dreiviertelstunde unterwegs gewesen. Da sie aus Richtung Westen kamen, konnten sie aus Kensington stammen, im äußersten Fall aus Regentʹs Park.
    Der Kutscher stieg vom Bock und öffnete den Schlag. Sein Anzug und sein respektvolles Benehmen widersprachen nicht dem, was er zu sein vorgab: ein fest angestellter Diener, um die fünfzig, muskulös und mürrisch. Zuerst entstieg ein schlanker, blasser junger Mann, der den zurückhaltenden Dünkel des privilegierten Studenten zur Schau stellte, der Kutsche. Deutlich hochgezüchtete Typen wie er waren bei Doyle nicht übermäßig beliebt. Da er eine sorgfältig gebundene Krawatte, eine Hemdbrust und eine Studentenmütze trug, kam er entweder gerade von einem gesellschaftlichen Termin, oder er überschätzte die Förmlichkeit der bevorstehenden Zusammenkunft erheblich. Er schob den Kutscher schroff beiseite und streckte eine Hand in die Droschke, um dem zweiten Fahrgast beim Aussteigen behilflich zu sein.
    Sie trug Schwarz und war so groß, biegsam und geschmeidig wie ihr junger Begleiter. Ihre Haltung verriet eine beträchtliche emotionale Anspannung. Hut und Umhang umrahmten ein ovales Gesicht. Sie ähnelte dem jüngeren Mann. Seine Schwester, wie Doyle vermutete, mochte etwa zwei oder drei Jahre älter sein. Doch ein genauerer Blick auf ihr Gesicht fiel nur kurz aus, da der Mann ihren Arm nahm und sie rasch zur Tür führte. Er klopfte freimütig an, das Zeichen war ihnen allem Anschein nach nicht bekannt. Während sie warteten, schien der junge Mann die Frau auf irgend etwas hinzuweisen vielleicht fluchte er über die unerfreuliche Umgebung; in jedem Fall wirkte er so, als begleite er sie nur unter Protest doch trotz ihrer Grazilität verriet die Festigkeit ihres Blicks, daß sie über den stärkeren Willen verfügte.
    Die Frau schaute ängstlich über die Straße. Sie ist die Verfasserin des Briefes, dachte Doyle. Und sie hält nach mir Ausschau. Er wollte gerade zu ihnen hinübergehen, als sich die Tür öffnete und das Haus sie verschluckte.
    Hinter den Wohnzimmergardinen spielten Schatten. Doyle beobachtete durch das Fernglas, daß die Hereinkommenden von dem Mann begrüßt wurden, dessen dunkle Gesichtszüge er zuvor am Fenster gesehen hatte. Ihm zur Seite erkannte er die Schwangere; sie nahm die Mütze des Bruders und den Umhang der jungen Frau in Empfang. Der
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