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Sieben

Sieben

Titel: Sieben
Autoren: Mark Frost
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er in diesem Geiste ermittelte und zufällig auf einen Betrug oder Vorteil stieß, den Schurken zur Erringung hinterhältiger Ziele über jemanden erlangten, der schwach im Geiste oder im Herzen war, die Täter ohne Zögern demaskieren. Niedere und verdorbene Charaktere wie sie entstammten im allgemeinen der Schicht der Verbrecher und verstanden einzig und allein die Sprache der Gewalt: Harte Worte, umgeworfene Tische und Prügel, die man androhte oder austeilte. So hatte Doyle auf Drängen eines Gewährsmannes bei Scotland Yard nach der Entlarvung einer falschen Zigeunerin, die ihn mit einem Dolch angegriffen und beinahe zur persönlichen Bekanntschaft mit dem Jenseits verholfen hatte, erst vor kurzem begonnen, einen Revolver zu tragen.
    Zweitens: Das Zusammenleben mit diesen einander widersprechenden Impulsen - dem Sehnen nach Redlichkeit und dem Ziel, die Redlichkeit als wahrhaftig zu beweisen, bevor man sie umarmte - zwang Doyle zu dem einfachen menschlichen Wunsch, seine unschlüssigen Reaktionen zu ordnen. Er glaubte, im Verfassen von Romanen und Erzählungen das ideale Forum gefunden zu haben; hier konnte er seine nicht faßbaren Erlebnisse in der obskuren Unterwelt umgehend zu Papier bringen. Seine Geschichten handelten von mythischen Welten und schaurigen Untaten, von abgefeimten Schurken, denen Männer aus der Welt des Lichts und des Wissens - ihm nicht unähnlich - gegenüberstanden, die sich freiwillig und meist unbekümmert in diese Finsternis vorwagten.
    Um dieser Vision gerecht zu werden, hatte Doyle im vergangenen Jahr vier Manuskripte erstellt. Seine drei ersten Versuche hatte er pflichtbewußt an eine Reihe von Verlagen gesandt, die sie einmütig abgelehnt und zurückgeschickt hatten. Daraufhin hatte er sie in den Tiefen eines aus der Südsee mitgebrachten Weidenkorbes verschwinden lassen. Momentan erwartete er eine Reaktion auf sein neuestes Werk, eine spannende Abenteuergeschichte mit dem Titel »Die dunkle Bruderschaft«, das er aus einer Reihe von Gründen - nicht zuletzt, um sich endlich aus der jämmerlichen Armut zu lösen - für seine reifste Arbeit hielt.
    Was seine körperliche Erscheinung betraf, so konnte man sagen, daß Doyle Manns genug war, die Aufgaben, die er sich stellte, zu bewerkstelligen: Er war kräftig, aber athletisch gebaut und nicht eitel, jedoch auch nicht über das Zwicken der Scham erhaben, das sich einstellte, wenn er auf gesellschaftlich Gleichgestellte traf und bei diesen Gelegenheiten Manschetten oder Kragen trug, die seine finanziellen Grenzen dokumentierten. Er hatte genügend Laster gesehen, um für die Opfer ihrer Reize und Fallen Sympathie zu empfinden, ohne selbst je in sie verwickelt gewesen zu sein. Er prahlte nicht, und es entsprach seinem Charakter, anderen lieber zuzuhören als selbst zu reden. Als Humanist glaubte er an einen gewissen Grundanstand und reagierte auf die unausweichlichen Enttäuschungen in dieser Hinsicht ohne Groll oder Überraschung.
    Zwar erweckte das schöne Geschlecht in ihm ein gesundes und natürliches Interesse, doch nur gelegentlich zapfte es unter seinem ansonsten massiven, granitenen Überzug eine verletzliche Ader an - einen Hort der Schwäche und Unentschlossenheit. Diese Neigung hatte jedoch nie mehr von einer Zwangslage entboten als den üblichen Verdruß und die übliche Furcht, die jeder junge Mann erlebt, der nach Liebe strebt. Doch wie er bald herausfinden sollte, hielt sie weit ernstere Konsequenzen für ihn bereit.

13, Cheshire Street
    CHESHIRE STREET 13 lag inmitten einer Reihe von Wohnbaracken, die so dünn wie Spielkarten waren. Vier Treppenstufen führten zu einer Tür, die sich deutlich nach Steuerbord neigte. Man konnte das Gebäude zwar noch nicht als Baracke bezeichnen, aber der Tag war nicht mehr fern. Es erweckte auch nicht den Anschein, als verfüge es über irgendwelche verborgenen Qualitäten. So, wie es aussah, schien es überhaupt keine Qualitäten aufzuweisen.
    Doyle musterte das Haus von der anderen Straßenseite aus. Er war eine Stunde früher erschienen, als der Brief ihn gebeten hatte. An seinem Standort gab es nicht viel Licht, und der Fußgänger- und Kutschverkehr war gering. Also verharrte er im Halbdunkel und wartete. Er war sicher, daß man seine Anwesenheit noch nicht bemerkt hatte und beobachtete das Haus durch ein kleines Fernglas.
    Eine bleiche Gaslicht-Aureole umsäumte die Vorhänge des zur Straße gerichteten Wohnzimmers. Während der ersten Viertelstunde hatte Doyle zweimal einen
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