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Sie haben sich aber gut gehalten!

Sie haben sich aber gut gehalten!

Titel: Sie haben sich aber gut gehalten!
Autoren: Lilli Beck
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ja vorhin bereits durchgelaufen. Zusammen mit dem angrenzenden Esszimmer stehen wir auf fünfundsechzig Quadratmeter massivem Eichenstabparkett. Auch in den oberen Etagen wurde überall Parkett verlegt. Und ich denke, der wertvolle Bodenbelag sowie der reichverzierte Marmorkamin, der übrigens aus Frankreich stammt, sind die Highlights der Villa.»
    «Hmm, scheint alles sehr gepflegt.» Wohlwollend sieht sich John um.
    Dann bitte ich ihn in das angrenzende Arbeitszimmer und zeige ihm noch das Gäste- WC sowie die eingebauten Garderobenschränke im Flur.
    «Deutsche Wertarbeit, erdbebensicher», erkläre ich und präsentiere die von einem Schreiner maßgefertigten Einbauten aus Eichenholz, die trotz ihrer Jahre noch ganz passabel aussehen.
    «Scheint ebenfalls sehr solide zu sein», entgegnet John. Mit ausgestreckter Hand befühlt er das Holz, das in der hereinfallenden Sonne wie Honig glänzt.
    Doch als ich die mittlere Schranktür schwungvoll aufreißen will, fällt sie unvermittelt aus den Scharnieren und landet nur wenige Zentimeter neben meinem rechten Fuß.
    Geistesgegenwärtig greift John mit einer Hand zu und hilft mir, die Tür wieder einzuheben und zu schließen.
    «Da ist wohl eine Schraube locker», bemerke ich achselzuckend.
    John lacht befreit. «Entschuldige, Rosy», sagt er, als er wieder bei Atem ist. «Aber ich lache nicht über dich, ehrlich. Mir fiel nur der Streber aus unserer Klasse ein. Die Streber-Schraube … Wie hieß er nochmal?»
    «Ewald», helfe ich ihm auf die Sprünge, verschließe die lockere Tür und ziehe zur Sicherheit den Schrankschlüssel ab, damit das Unglück nicht nochmal passiert. «Ewald Schraube, der Primus der Abiturklasse.»
    «Und der Typ hieß nicht nur so, bei dem waren doch auch sämtliche Schrauben locker», fügt John lachend hinzu. «Was wohl aus dem geworden ist?»
    «Ein sehr erfolgreicher Physiker, der am Max-Planck-Institut forscht und vielleicht mal einen Nobelpreis bekommen wird.» Und dann kann ich mir eine kleine Spitze nicht verkneifen. «Wenn du nur ein Mal zu einem unserer Klassentreffen gekommen wärst, dann …»
    «… dann bestimmt nicht wegen Schraube», deutet er mit frechem Augenzwinkern an. «Also, wo steht der Werkzeugkasten?»
    Überrascht mustere ich ihn. Will er etwa die Schranktür reparieren? Meine Jugendliebe als Handwerker? Mit Hammer und Nagel kann ich ihn mir eigentlich nicht vorstellen.
    «Danke, das ist sehr nett von dir, aber nicht nötig», wehre ich sein Angebot ab. «Mein Vater wäre beleidigt, wenn ich ihn seiner Lieblingsbeschäftigung berauben würde. Seitdem er in Rente ist, ist er nämlich ganz wild auf Reparaturen aller Art.»
    John nickt und wirkt beinahe ein wenig erleichtert.
    «Außerdem ist Fabian, mein zweiter Sohn, Schreiner», füge ich noch hinzu. «Du siehst also, an fleißigen Helfern mangelt es mir nicht. Aber genug davon. Ich würde dir jetzt gern die erste Etage zeigen.»
    Die in sanftem Schwung nach oben führende Treppe knarrt an einigen Stellen, als wir nebeneinander die Stufen hochsteigen. Es sind vertraute Geräusche, an die ich mich über all die Jahre gewöhnt habe. Sie gehören einfach zu diesem Haus wie die Ziegeln auf dem Dach.
    «Fabian war schon immer praktisch veranlagt und ist sehr geschickt», erkläre ich voller Mutterstolz, unterschlage aber, dass mein Zweitgeborener derzeit nur ein Praktikum bei einem Schreiner absolviert. «Schon als Kind schnitzte er liebend gern an einem Stück Holz herum und hat …» Ich stoppe abrupt. Meine Güte, ich klinge ja wie eine dieser ehrgeizigen Mütter, die ihre Kinder mit Erfolgsansprüchen drangsalieren.
    «Ja, Familie ist was Wunderbares», bestätigt John, und zu meiner Überraschung höre ich keinen spöttischen Unterton raus. Im Gegenteil. Habe ich da nicht sogar einen leisen Stoßseufzer vernommen? Beneidet er mich etwa? Würde John Ansbach, der umwerfende Herzensbrecher, auf seine alten Tage etwa gerne sesshaft werden? Eine Familie gründen? Kinder zeugen? Nein! Da könnte man genauso gut behaupten, Casanova wäre monogam gewesen. Lächerlich!
    «Nicht immer ist Familie was Wunderbares», schnaufe ich, als wir im ersten Stock ankommen. «Es gab Zeiten, da habe ich meine Sippe als Blutsauger empfunden und sie oft verflucht.»
    Der Flur ist etwas kleiner als im Erdgeschoss. Von hier gehen das Schlafzimmer und die Kinderzimmer ab, das große Bad sowie eine extra Toilette.
    «Und du bewohnst dieses riesige Haus jetzt also ganz allein.» Johns Frage
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