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Sie haben sich aber gut gehalten!

Sie haben sich aber gut gehalten!

Titel: Sie haben sich aber gut gehalten!
Autoren: Lilli Beck
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Kinder. Sie sei zu gut ausgebildet, um Windeln zu wechseln oder sich in die Küche zu stellen und Fläschchen zu kochen.»
    Huch! Eine Menge Information steckte in diesen drei Sätzen. Dennoch kann ich mir John einfach nicht als treuen Ehemann und fürsorglichen Vater vorstellen. Ein Verführer verwandelt sich doch nicht einfach so zum Familienvater.
    Als ich damals vor der Entscheidung stand, Kinder oder Karriere, habe ich mir nicht zugetraut, beides unter einen Hut zu bringen. Ich habe mein Lehramtsstudium für Gymnasien nicht beendet und die Entscheidung eigentlich auch nie bereut. Trotzdem ist von diesem Dilemma ein winziger Rest Traurigkeit geblieben, der sich manchmal wie Novembernebel über mich legt und mich melancholisch werden lässt.
    «Entschuldige, John, ich hab dir noch gar nichts zu trinken angeboten», besinne ich mich auf meinen Gastgeberstatus. «Soll ich uns einen frischen Kaffee kochen?»
    «Danke, Rosy, später vielleicht. Jetzt setz dich erst mal zu mir.» Er zieht den Stuhl heran. «Du hast dich übrigens kein bisschen verändert. Gut gehalten, würde ich sagen.» Johns umwerfendes Lächeln jagt mir einen Schauer über den Rücken.
    Verrückt! Anscheinend bleiben uns die Menschen so in Erinnerung, wie wir sie kennengelernt haben. Auch wenn man sich nach Jahrzehnten wiedertrifft, sieht man unter den Falten immer nur das junge Gesicht von damals.
    Aber ich weiß sehr wohl, dass fünfundzwanzig Jahre auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen sind. Damals war ich wahrscheinlich zu naiv und zu verliebt, um zu merken, dass hinter seinem Süßholzraspeln nichts als heiße Luft steckte. Heute kann ich mich über das durchsichtige Kompliment freuen. Ich meine, bei einer geschiedenen Frau Ende vierzig stehen die Verehrer ja nicht gerade Schlange.
    «Wollen wir dann gleich mit der Tour beginnen?», lenke ich seine Aufmerksamkeit zurück zum Grund seines Besuchs.
    John nickt, schnappt sich seine Kamera und steht auf. «Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich ein paar Aufnahmen machen. Für das Exposé und vor allem fürs Internet brauchen wir ein paar aussagekräftige Fotos.»
    Als wir das Wohnzimmer betreten, registriere ich aus den Augenwinkeln, wie John sich genau umsieht. Nur gut, dass ich heute Morgen besonders gründlich aufgeräumt habe, denke ich erleichtert.
    «Das Haus ist natürlich nicht mehr im allerbesten Zustand», erkläre ich schnell. «Volker hat dir sicher erzählt, was den neuen Eigentümer an Renovierungsarbeiten erwartet, oder?»
    «Äh … nein, eigentlich nicht», antwortet John zögernd und blickt sich misstrauisch um, als könnten gleich die Wände einstürzen.
    Typisch mein Exmann. Er nutzt es gerne aus, dass wir wegen der Kinder einen freundschaftlichen Umgang pflegen, aber das Unangenehme überlässt er mal wieder mir.
    «Na gut, worüber weißt du denn Bescheid, damit ich dich nicht mit Wiederholungen langweile?», frage ich und überlege gleichzeitig, welche Macken unserer alten Villa ich vorerst verschweigen kann, ohne John arglistig zu täuschen. Ohnehin würden mir wahrscheinlich nicht alle Problemzonen auf Anhieb einfallen. (Im Gegensatz zu meinen eigenen …)
    «Tja, also dein Mann …»
    «Exmann», korrigiere ich.
    «Richtig, dein Exmann … Nun, er hat mir die Pläne ausgehändigt, mich über die Größe des Grundstücks informiert und die Gegend beschrieben.»
    «Gut, dann beginnen wir doch gleich hier im Wohnzimmer», starte ich die Besichtigungstour. Ich wende mich nach rechts und deute auf die Durchreiche vom Esszimmer zur Küche. «Hier, das ist eines der vielen praktischen Details des Hauses.»
    «Wie ich auf dem Plan gesehen habe, ist das keine tragende Wand», bemerkt John, als er die ersten Fotos von der Durchreiche schießt. «Man könnte diese Mauer also einreißen und den Kochbereich mit dem Esszimmer verbinden, richtig? So würde man einen großzügigen Wohn-Ess-Bereich erhalten, wie es jetzt allgemein Trend ist.»
    «Genau das hatten wir vor, aber …» Ich stocke, weil ich dran denken muss, wie ich noch vor drei Jahren glaubte, hier mit Volker gemeinsam alt zu werden. Damals dachte ich noch,
unsere
Ehe würde zu den dreiunddreißig Prozent gehören, die erst vom Tod geschieden werden.
    John scheint zu verstehen und vollendet den Satz: «… aber dann wurde aus dem Umbau eine Scheidung.»
    Ich lasse den Kommentar unbeantwortet, zeige stattdessen mit einer ausladenden Handbewegung ins Wohnzimmer und fahre möglichst professionell fort. «Hier bist du
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